Handelskrieg und alle verlieren?

 

Wer in den letzten Monaten die täglichen Nachrichten in Zeitungen, Funk und Fernsehen ansah, dem begegnete unaufhörlich der anscheinend wichtigste Mensch dieser Tage, Donald Trump, oft assistiert vom vermeintlich reichsten Mann der Welt Elon Musk. Immer wieder Trump/Musk in Posen, die man eher im Trash-Fernsehen verortet als in politischen Nachrichten. Das Neueste: Zölle, mit denen der US-Präsident mittlerweile nahezu die gesamte Nicht-US-Welt überziehen will, offensichtlich sein Lieblingsthema und seine Allzweckwaffe gegen alle Handelspartner, die nach seinem Bekunden die USA übervorteilen und ausrauben. Musk als Profiteur der Turbo-Globalisierung steht allerdings auf Freihandel. Nachdem ich neulich schon Verlautbarungen des Trump-Vize J.D. Vance aufgegriffen und kommentiert habe, fühle ich mich erneut veranlasst, auch dem Thema Zölle ein paar Gedanken zu widmen. Aber versprochen: danach werde ich Trump geflissentlich übergehen. Ihm wird ohnehin schon viel zu viel Aufmerksamkeit zuteil.

 

  Internationalen Handel gibt es seit langem. Er unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom nationalen Handel. Stets sind es Menschen und von Menschen geleitete Unternehmen, die anderen Menschen/Unternehmen Waren zum Kauf anbieten bzw. von anderen angebotene Waren nachfragen. Dies tun sie überwiegend aus Eigennutz, weil sie die Verkäufe für sich als vorteilhaft einschätzen und oder weil sie Dinge und Leistungen haben wollen, die sie selbst nicht so gut oder gar nicht herstellen können.

 In vorkapitalistischen Zeiten wurden überwiegend Überschüsse gehandelt, für den Eigenbedarf erzeugte Güter, von denen man zuviel hatte. Dann trat ein Gewerbe dazwischen, das Waren kaufte, um sie teurer wieder zu verkaufen, der gewerbsmäßige Handel. Das geschah in wachsendem Umfang nicht nur innerhalb von Staaten, sondern auch als internationaler Handel mit Produkten, die die Käufer in ihren Ländern nicht oder nur in schlechterer Qualität erwerben konnten. Die deutsche Hanse, Italiens Stadtstaaten sowie Spanien, Portugal und England waren im Mittelalter führend  und schufen Strukturen zur Absicherung der Handelswege und zur Sicherung der Zahlungsmodalitäten. Stets aber erwies sich der (inter-)nationale Handel als Motor für eine prosperierende und wachsende nationale Wirtschaft, in den Heimatländern der Handelshäuser.

  Grundsätzlich profitieren von Handelsbeziehungen beide Partner, wenngleich in unterschiedlichem Umfang. Regelmäßig traten daher auch Staaten auf den Plan und versuchten, mit Zöllen oder anderen Handelsbeschränkungen ihre inländischen Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Zölle sind der ständige Begleiter des internationalen Handels. Sie können durchaus sinnvoll sein, wenn z.B. mächtige ausländische Anbieter den heimischen Konkurrenten so überlegen sind, dass diese keine Möglichkeiten haben, sich zur Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln. Dominieren ausländische Anbieter den heimischen Markt, dann kann daraus zudem eine problematische Abhängigkeit entstehen, was z.B. vor dem Ukrainekrieg in Deutschlands Energieversorgungzu beobachten war.

  In der Geschichte wurde der internationale Handel daher sehr lange von Zollschranken bestimmt oder zumindest beeinflusst. Während der ersten Industrialisierung dienten sie Deutschland und den USA zum Aufbau heimischer Industrie gegen die übermächtige Konkurrenz aus England. Japan, Südkorea und Taiwan gelang in der Nachkriegszeit der Aufbau einer eigenen Autoindustrie gegen die vorher übermächtige europäische Konkurrenz. In China nutzt der Staat ein ganzes Arsenal an Hilfen für die heimische Wirtschaft und deren Schutz vor ausländischer Konkurrenz. Auch die EU sichert das Überleben ihrer Landwirtschaft durch Zölle gegenüber der Konkurrenz aus den USA und dem globalen Süden, auch durch Subventionen aus dem Staatshaushalt.

  Im ausgehenden 20. Jahrhundert haben sich vor allem die mächtigen großen Länder für den Abbau von Zöllen eingesetzt, allen voran die USA. Denn ein von Zöllen befreiter Freihandel nützt vor allem den großen internationalen Konzernen, die alle Möglichkeiten haben, z.B. in sog Niedriglohn-Ländern deutlich billiger zu produzieren als zuhause. Ganze Branchen verlagerten die Produktion aus den USA und der EU z.B. nach China, um sie anderswo günstiger verkaufen zu können, als wenn sie in den Hochlohn-Heimatländern hergestellt worden wären. So wird der internationale Freihandel zu dem Wachstumsmotor der Moderne und wächst sich zu einer Turbo-Globalisierung mit differenzierten Lieferketten aus. Globale Unternehmen beschaffen und produzieren dort, wo sie wegen geringer Löhne, schlechtem Arbeitsschutz und mageren Umweltschutzvorschriften die kostengünstigsten Bedingungen vorfinden, und verkaufen ihre Produkte in den wohlhabenderen Ländern.

  Dazu wurden internationale Handelsabkommen geschlossen und 1994 die Welthandelsorganisation WTO gegründet, die heute mehr als 160 Mitgliedstaaten hat. Hier gilt das „Prinzip der Meistbegünstigung“, wonach ein Zollsatz, der einem anderen Land gewährt wird, auch allen anderen zusteht. Die WTO-Regeln sind allerdings eher zahnlose Tiger, weil es keinen wirksamen Sanktionsmechanismus bei Verstößen gibt. Denn die USA blockieren seit 2019 die Wahl von Richtern im WTO-Schiedsgericht.

  Um die unter WTO-Regeln immer noch zulässigen Zölle komplett abzuschaffen, wurden Freihandelsabkommen mit Verzicht auf jegliche Zölle entworfen, z.B. TTIP, das allerdings wegen des Widerstands der europäischen Zivilgesellschaft nicht zustande gekommen ist.  Dazu CETA zwischen der EU und Kanada und das in Umsetzung befindliche EU-Mercosur-Abkommen. Diese Abkommen beinhalten im Grundsatz eine vollständige Abkehr vom staatlich regulierten internationalen Handel und damit das Primat des Marktes über die Politik. Es gilt das Recht des Stärkeren.

 Nun aber verordnet ausgerechnet der Präsident der USA Zölle gegen nahezu alle anderen Länder der Welt, vorrangig gegen China und die EU, aber auch gegen viele Entwicklungsländer. Begründung: US-Handelsdefizite gegenüber diesen Ländern. Schädigung der US-Wirtschaft, Vernichtung von US-Arbeitsplätzen. Tatsächlich sank in den 2000er-Jahren die Zahl der Jobs im verarbeitenden Gewerbe der USA um sechs Millionen Beschäftigte. Gleichzeitig erlebte jedoch die von regulativen Beschränkungen nahezu vollständig befreite US-Tech-Branche einen fulminanten Aufstieg und dominiert mit ihren Angeboten weltweit das Internet und sorgt dort für die „Meinungsfreiheit“, die die US-Administration in Europa vermisst.

  Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass die neuen Zölle nicht die von Trump behaupteten Wirkungen haben werden, also weder zu einer Rückverlagerung der Industrie- oder Landwirtschafts-Arbeitsplätze in die USA führen, noch den Staatshaushalt der USA anfüttern, sondern dass sie vor allem der US-Wirtschaft und den US-Verbrauchern schaden werden. Es werde zu erheblichen Verteuerungen für US-Verbraucher kommen und auch die US-Exporte würden durch Gegenzölle der betroffenen Staaten sinken, so dass eine US-Rezession absehbar sei. Stattdessen drohe ein weltweiter Handelskrieg mit unabsehbaren negativen Folgen für Wachstum und wirtschaftlichen Wohlstand überall auf der Welt. Die internationalen Lieferketten geräten, so meinen Experten, in Unordnung. Chaos auf den Weltmärkten wäre die Folge. Und tatsächlich, an den Börsen der Welt lassen sich schon massive Kursverluste beobachten.

Was ist aus Nachhaltigkeitsperspektive von dieser Entwicklung zu halten?

  Zum einen sollte uns die Aussicht auf einen Rückgang des Welthandels nicht wirklich erschrecken. Ständiges Wirtschaftswachstum und immer mehr materieller Wohlstand sind Kategorien, die insbesondere im globalen Norden ohnehin überwunden werden müssen, wenn wir weltweit die Lebensgrundlagen sichern wollen. Eine Rückbesinnung der Wirtschaft auf die Dinge, die wirklich unser Leben verbessern und nicht die Lebensgrundlagen gefährden, ist von daher hilfreich für eine nachhaltige Entwicklung. Auch die Neugestaltung verlässlicher Lieferketten unter Meidung der Zollfestung USA ist nicht wirklich schädlich, zumindest wenn sie nicht dahin ausweicht, wo auf gute soziale und ökologische Standards verzichtet wird. Wenn dagegen an Nachhaltigkeit interessierte Länder anstelle der USA eingebunden werden, fördert dies deren wirtschaftliche Entwicklung und die Nachhaltigkeit. Dass die deutschen Wirtschaftsverbände, die neue schwarz-rote Koalition in Berlin und die EU-Kommission in Reaktion auf Trump die Abschaffung bzw Aufschiebung der EU-Lieferkettenrichtlinie fordern, die faire Bedingungen weltweit schaffen soll, dann bedeutet das genau das Gegenteil: eine bewusste Abkehr von Nachhaltigkeits-dienlichem Wirtschaften.

  Inzwischen ist auch die Zivilgesellschaft nicht untätig: Ausgehend von Kanada hat sich gegen die erwarteten Preissteigrungen auf Grund der Trumpschen Zölle eine Bewegung gebildet, die zum Boykott von US-Produkten und stattdessen zum Kauf heimischer Produkte auruft.  Auf der Plattform Reddit haben sich in kurzer Zeit über 120.000 Menschen zu einer Gruppe namens "BuyFromEU" zusammengefunden, die den Boykott von US-Produkten propagiert. Auch Tesla leidet ja wegen der erratischen Ausbrüche seines Chefs schon länger unter dem Einbruch der Nachfrage und des Börsenkurses. Der Tesla-Einbruch ist unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten vor allem deshalb nicht schädlich (immerhin war Tesla E-Auto-Pionier), weil es inzwischen insbesondere aus Fernost einige gute Alternativen im Bereich Klein- und Mittelklassewagen gibt. Und wenn insgesamt weltweit mehr heimische Waren gekauft werden, ist das schon wegen des Wegfalls langer Transportwege ökologisch sinnvoll. Zudem sind die US-amerikanischen Standards z.B. bei Nahrungsmitteln (Stichworte Chlorhähnchen, Pestizidwahn und Gentechnik) alles andere als umweltfreundlich. Wenn die nun weniger Kunden finden, ist auch das ein guter Schritt in Richtung Nachhaltigkeit.

  Dass Länder des globalen Südens von Trump mit Zöllen überzogen werden, ist auf den ersten Blick schädlich für deren Entwicklung und den Abbau von Armut, zumal der US-Präsident in seiner blindwütigen Dekretpolitik bereits die Entwicklungshilfeorganisation USAID der Auflösung preisgegeben hat.  Nur am Rande: Auch hier schädigt Trump sein Land, denn ein Gutteil der Hilfen von USAID besteht aus Nahrungsmittellieferungen von US-Farmern und -Unternehmen. Wenn die wegfallen, dann trifft das nicht nur die Ärmsten der Welt, sondern auch sie. Wenn die Länder des globalen Südens allerdings die ihnen auferlegten Zölle dazu nutzen, ihre Wirtschaft so auszurichten, dass sie der einheimischen Bevölkerung zu lebensdienlichen Produkten und Leistungen verhilft, dann ist das ein überfälliger Anstoß zur nachhaltigen Entwicklung. Ob die dort herrschenden wirtschaftlichen Eliten allerdings dazu bereit sind, daran sind Zweifel zulässig. Denn auch sie sind Profiteure der Turbo-Globalisierung.

  Die derzeitigen internationalen Handelsbeziehungen und die daraus resultierende Form der Globalisierung haben sich als Treiber des weltweiten Wirtschaftswachstums erwiesen, nicht als Instrument zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen. Sie wurden und werden maßgeblich gestaltet von den finanzkapitalistisch dominierten Konzernen der entwickelten Welt, zunehmend unterstützt von den politischen und wirtschaftlichen Eliten in den Schwellenländern. Damit ist ihr Kurs definiert. Wachstum ohne Ende und eine zunehmende schiefe Verteilung von Einkommen und Vermögen: Immer mehr Reiche und Superreiche, immer mehr extrem Arme im weltweiten Süden, sowie zunehmende finanzielle Sorgen der Arbeitnehmer*innen in den wohlhabenderen Ländern. Allerdings ist dafür nicht allein die Globalisierung verantwortlich, sondern auch die Steuerpolitik vieler Länder.

  Die Zollpolitik von Donald Trump nimmt entgegen der von ihm geäußerten Absichten hier Druck aus dem Kessel, indem sie die Finanzkapital-getriebene Turbo-Globalisierung aufmischt. Sie könnte durch die Besinnung der übrigen Welt auf eine lebensdienliche Wirtschaftsweise sogar das nachhaltige Wirtschaften fördern. So würde der Klimaleugner Trump unfreiwillig zum Protagonisten der Nachhaltigkeit. Das ist aus meiner Sicht zu begrüßen und nicht zu befürchten. Aus Sicht der großen Mehrheit der Weltbevölkerung sowieso. Denn die kann eigentlich nur gewinnen, wenn Trump mit Zöllen gegen die Ratschläge der Wachstums-Ökonomen das rasante Tempo der Globalisierung bremst.