Meinungsfreiheit - ein Zwischenruf.

 

  Auf der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz trat zum ersten Mal nach der zweiten Inauguration von Donald Trump der Außenminister der aktuellen US-Regierung J.D.Vance ans Rednerpult.  Erwartet wurden genauere Ausführungen dazu, wie der Ukrainekrieg aus Sicht der USA beendet werden solle. Statt dessen verstieg sich Vance zu der These, in Europa mangele es an Meinungsfreiheit, weil von den Plattformen der US-Tech-Giganten die Löschung von erwiesenen Falschbehauptungen und Hasstiraden verlangt werde und weil „demokratische“ Parteien wie die AFD ausgegrenzt würden. Nicht nur deutsche Politiker wie der Präsident und der Kanzler widersprachen heftig und verbaten sich derartige Belehrungen und Einmischungen. Da will ich gern etwas genauer nachsehen.

 

Meinungsfreiheit ist ein hohes politisches Gut. Sie wird mit Freiheit schlechthin gleichgesetzt, wenn z.B. Rosa Luxemburg einen Satz prägt wie diesen: Freiheit ist stets die Freiheit der Andersdenkenden. Auch wenn Rosa Luxemburg von Konservativen stets auf die Sozialistin und Revolutionärin reduziert wird, die sie auch war, hat dieser Satz für mich Weltanschauungs-übergreifende Bedeutung. Er macht deutlich, dass nur derjenige Freiheit für sich und seine Argumente reklamieren darf, wenn er/sie dies auch seinen politischen Gegnern zubilligt. Die Freiheit des einnen hat auch da ihre Grenzen, wo sie berechtigte Belange von anderen verletzt, diesen also körperliche, seelische oder andere Schäden zufügt.

  In einer Demokratie ist diese Sichtweise insofern zu erweitern, als sie die einzige Staatsform ist, in der es möglich ist, die Staatform unter Nutzung der von ihr gewährten demokratischen Freiheiten zu beseitigen. Es waren und sDasind immer wieder Entwicklungen zu beobachten, dass politische Bewegungen und Parteien sich anschicken und/oder erfolgreich damit sind, Mehrheiten zu gewinnen und mit diesen die Demokratie zu beenden.

  Gerade unser Land ist ein Beispiel genau dafür. Nachdem Reichskanzler von Hindenburg Hitler zum Kanzler einer mehrheitlich konservativ besetzten Regierung ernannt und per Notverordnung ermächtigt hatte, Kundgebungen und Druckschriften von politischen Gegnern zu verbieten, gewann die NSDAP in der darauf folgenden Wahl 43,6% der Stimmen. Sie brachte Abgeordnete von KPD und SPD ins Gefängnis und nicht zuletzt wegen deren Fehlens im Reichstag das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ durch, das sog Ermächtigungsgesetz. Es wurde zur Grundlage für die systematische Zerstörung des Verfassungsstaates. Schluss mit Demokratie, jetzt wird gemacht, was der Führer sagt.

  Politische Meinungsfreiheit hat also da ihre Grenze, wo Meinungen geeignet sind, die Grundlagen der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Ob dies der Fall ist, entscheiden nicht Presse, Politiker oder Parteien. Dies zu entscheiden, ist das Privileg der unabhängigen Gerichtsbarkeit, in Deutschland des Bundesverfassungsgerichts. Das kann lt. Grundgesetz vom Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung angerufen werden, wenn z.B. eine Partei verfassungsfeindlich agiert.  Aktuell zögern die meisten, dies in Bezug auf die AFD zu tun, weil zwar viele Hinweise auf die Verfassungsfeindlichkeit der Partei vorliegen, ein gerichtsfester Beweis aber schwer zu erbringen sei und ein Scheitern viele Risiken beinhaltet. 

  Mit dem Argument der Meinungsfreiheit wird von der neuen US-Regierung und ihren Anhängern auch die Zulässigkeit bestimmter Argumente und Äußerungen zum Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit verteidigt. Es könne doch nicht sein, dass Facebook, Instagram, Telegram und Co. verpflichtet würden, Lügen und Falschbehauptungen zu diesem Thema  zu löschen oder mindestens als solche zu kennzeichnen.

  Tatsächlich sind diese Plattformen Publikationsorgane, die zwar offen sind für die Einträge ihrer Mitglieder, die aber durch Algorithmen ihre Nutzer mit Einträgen versorgen, die diese interessieren könnten, ohne dass die Nutzer etwas dazu tun müssen oder können. Sie haben damit eine quasi-redaktionelle Verantwortung für ihre Inhalte und deren Verbreitung. Das gilt für alle Informationen, nicht nur für Falschinformationen, sondern auch für Hass und Hetze, die daher im Netz wie im analogen Leben auch auf Grundlage von (Straf-)Gesetzen verfolgt werden können und müssen, wenn der Rechtsstaat erhalten bleiben soll.

  Was also ist von den Einlassungen des J.D. Vance zu halten? Sie sind haltlos, weil sie ein Verständnis von Meinungsfreiheit zum Ausdruck bringen, das mit demokratischen Gepflogenheiten nicht vereinbar ist. Vance selbst und auch sein Chef sind lebende Beispiele für den Missbrauch der Meinungsfreiheit für Lügen und Hetze. Trump behauptet bis heute, er habe die Wahl gegen Joe Biden gewonnen, sie sei ihm gestohlen worden. Er leugnet gegen gesichertes Wissen den Klimawandel, er betreibt Hass und Hetze gegen Migranten, gegen konkurrierende Politiker, Staatsanwälte, Richter und Andersdenkende. Vance erfand die Lüge von den haitanischen Migranten, die die Haustiere ihrer Nachbarn essen und verteidigte sich mit dem Argument, er müsse lügen, um so die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen.

Ihre deutschen Bewunderer stehen dem nicht nach. Sie bezeichnen Migranten als Verbrecher, machen die Sonne für den Klimawandel verantwortlich und behaupten, Windkraftanlagen seien für den teuren Strompreis in Deutschland verantwortlich. Man kann ihre Einlassungen nur als das charakterisieren, was sie sind. Beleidigungen, simpler Unsinn und bösartige Falschaussagen

Das sind dieselben Leute, die wie einige Promis auch behaupten, in Deutschland gebe es keine Meinungsfreiheit mehr, weil man nicht mehr sagen könne, was man Jahre lang unbeschwert sagen konnte: Neger, Indianer, Zigeunersauce usw. Dazu ist festzuhalten: Wer diese oder andere Worte benutzen will, deren rassistische oder anderweitig problematische Konnotation vielen von uns erst seit Kürzerem bewusst ist, der kann das ungestraft tun und tut es natürlich auch immer wieder. Er/sie offenbart damit jedoch, dass seine Redeweise aus der Zeit gefallen ist und/oder dass er/sie ein Weltbild lebt, das von anderen Menschen als überholt oder ihnen gegenüber als feindlich wahrgenommen wird. Irgendwelche rechtlichen Konsequenzen (Anzeigen, Verurteilungen usw.) hat das aber nicht. „Gefühlte“ sprachliche Unfreiheit ist ein Signal für Rückwärtsgewandtheit, ein Indiz für fehlende Meinungsfreiheit ist sie ganz und gar nicht.

  In Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen kommt etwas hinzu. Es ist die Freiheit zu behaupten, es gebe weder menschengemachten Klimawandel noch andere Bedrohungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen, sie seien daher auch nicht politisch bekämpfungsbedürftig. Diese „Freiheit“ wird z.B. von Trump und Spießgesellen in Anspruch genommen, von einschlägig interessierten Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie von rechtspopulistischen Parteien und Politikern anderswo und bei uns. Ihnen gegenüber bleibt nur der alte römische Spruch „si tacuisses, philosophus mansisses“ (wennn Du geschwiegen hättest, hätte man dich auch weiterhin für einen klugen Menschen gehalten).  Die Demokratie muss diesen Unsinn leider aushalten.

  Wer aber diese Art von Meinungsfreiheit verteidigt und politische Konsequenzen androht für den Fall, dass die US-Tech-Plattformen einer europäischen Regulierung unterworfen und in diesem Sinne auf ihre Pflicht als Verbreiter von Informationen und Meinungen verwiesen werden, der verlässt die Grundlagen der Werteordnung, für die die USA, Europa und die Demokratien der übrigen zivilisierten Welt standen und nach meiner Meinung weiterhin stehen sollten. Den menschengemachten Klimawandel und andere Nachhaltigkeitsvergehen werden wir mit solchen politischen „Führern“ allerdings kaum in Schranken halten können, jedenfalls wenn ihnen immer mehr Menschen folgen und sie wählen. In den USA hat eine (wahltechnische) Mehrheit sie gewählt und die unterlegene Minderheit ist seitdem verstummt. Die deutsche Wahl ist am kommenden Sonntag.