Globalisierung und Nachhaltigkeit

  Zu Beginn dieses Jahrtausends herrschte in weiten Kreisen eine geradezu euphorische Erwartungsstimmung in Bezug auf das Zusammenwachsen der Länder und Kontinente zu dem, was man begann, „global village“ zu nennen. Kulturell, politisch und wirtschaftlich öffneten sich viele Möglichkeiten für eine weltoffene Verständigung und Kooperation. Inzwischen ist die Globalisierung zwar schier unaufhaltsam fortgeschritten. Sie scheint aber bei einer wachsenden Zahl von Menschen und Politikern zunehmend auf Ablehnung zu stoßen. Nicht zuletzt Trump 2.0 droht, das Rad vollends zurückzudrehen. Was ist unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten von all dem zu halten?

 

 

  Der Begriff Globalisierung meint im weitesten Sinn das weltweite Zusammenwachsen der Menschen, Gesellschaften und Staaten in kultureller, politischer und ökonomischer Hinsicht.  Dabei ist umstritten, ab wann überhaupt von einer Globalisierung zu sprechen sei. Unter Historikern gibt es sogar die These, sie sei so alt wie die Menschheit, denn schon immer habe es Wanderungen und Mischungen der Kulturen gegeben. So richtig das sein mag, so begrenzt waren diese Phänomene jedoch lange Zeit. Ja, es gab die Völkerwanderung, die Kreuzzüge, die Entdeckung Amerikas. Aber die moderne Globalisierung datiert auf das Ende des 20. und den Anfang des 21. Jahrunderts. Größerer Vorläufer war die Kolonialisierung der Welt durch die europäischen Staaten im späten 19./ beginnenden 20. Jahrhundert.

  Für die aktuelle Entwicklung kann man zwei wesentliche Triebkräfte ausmachen: Die weltweite Dominanz marktwirtschaftlich-kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in den späten 1980er Jahren und die Entwicklung und Durchsetzung der digitalen Kommunikationstechniken im Kontext des Internets. Seither ist es mit wenigen Einschränkungen praktisch jedem Menschen möglich, an jeden Platz der Erde zu reisen oder aber vollständig auf Reisen zu verzichten, weil man über das Internet Bilder und Eindrücke von überall bekommen kann. Das weckt die Neugier insbesondere junger Menschen, die Welt kennenzulernen und zu bereisen. Zahlreiche kulturelle Austausche wurden ins Leben gerufen, die zu gegenseitigem Verständnis und Lernen ermuntern.

 Daraus kann sich ein vertieftes Verständnis für andere Kulturen und Lebensbedingungen entwickeln, das eine Grundlage für das gleichberechtigte und friedliche Zusammenleben bildet. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten darf jedoch der dafür fällige Preis, nämlich weite Reisen mit umweltschädlichen Verkehrsmitteln, nicht übersehen werden. Solange Treibstoffe aus nachwachsenden Ressoucen nicht verfügbar sind, bietet sich zwar Kompensation an, die aber zumeist die Versprechen, die sie beinhaltet, nicht einlöst. „Grünes“ Reisen verlangt Achtsamkeit und Beschränkung.

 Auch politisch sind vielfältige Kooperationen entstanden wie z.B. in der EU, Lateinamerika und Afrika. Diese sind hilfreich, solange sie auf Augenhöhe stattfinden. Allerdings kann man in zunehmendem Umfang auch internationale politische und militärische Interventionen durch wenige Machtzentren beobachten:

  •  Der russische Präsident bricht einen Krieg gegen sein Nachbarland Ukraine vom Zaum, um seine politische und militärische Machtzone zu sichern.
  •  Der chinesische Präsident reklamiert einen territorialen Anspruch auf Taiwan und droht, es militärisch zu erobern, wenn es nicht selbst der VR China betritt.
  • Die Hamas überfällt Israel, tötet und entführt viele Menschen. Dieser Überfall wird von der israelischen Seite mit einem militärischen Gemetzel beantwortet, dass unzählige Menschenleben kostet und Gaza auf lange Zeit unbewohnbar macht.
  • Der wiedergewählte amerikanische Präsident schickt sich an, nicht nur in den USA sondern überall auf der Welt Zwietracht zu stiften und vermeintlich für sein Land förderliche „Deals“ durchzusetzen. So will er Gaza und Grönland, Panama und Canada den USA eingliedern  und die Ukraine zum Verzicht auf Land und Souveränität zwingen.
  • Ein amerikanische Milliardär und ein russischer Despot nehmen Einfluss auf den deutschen Wahlkampf.
  • Nordkorea schickt Soldaten, der Iran Waffen an Russland zur Unterstützung des Ukraine-Angriffs. 

  Politisch scheint die Globalsierung also als Einladung zu einer eher unfriedlichen Einflussnahme der Mächtigen auf die Ohnmächtigen zu verkommen. Von gegenseitigem Verständnis und Respekt kann hier kaum gesprochen werden. Die Tausenden menschlichen Opfer sind tragisch. Und kaum etwas ist ökologisch so fatal wie Kriege.

  Überwiegend wird Globalisierung allerdings als wirtschaftliches Phänomen buchstabiert. Wie bereits im europäischen Imperialismus des 19. und 20. Jahrhunderts ist sie bisher durch eine Dominanz der USA und der europäischen Staaten charakterisiert. Sie haben durchgesetzt, dass internationale Verträge und Handelsabkommen vor allem den Interessen ihrer (Groß-)Unternehmen nutzen und die wirtschaftlichen Belange des globalen Südens missachten. Inzwischen haben die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und andere Schwellenländer allerdings aufgeholt und schicken sich an, die westlichen Industrieländer abzulösen.

  Zu den wirtschaftlichen Gewinnern zählen dennoch bisher vor allem die Unternehmen in den westlichen Industrieländern und deren Eigentümer. Daneben profitiert nach Ansicht von Experten vor allem die wachsende Mittelschicht in den Schwellenländern, wohingegen die Mittelschicht der entwickelten Länder wenig bis gar nicht vom weltweit wachsenden Einkommen profitiert. Diese These wird plastisch in der Elefantengrafik des Ökonomen Branco Milanovic verdeutlicht, deren 2018 aktualisierte Fassung allerdings durch die insbesondere in den Entwicklungsländern stark gestiegenen Bevölkerungszahlen relativiert wird. Zudem gehen die prozentualen Wohlstandsgewinne der Mittelschicht in den ärmeren Ländern von einem sehr geringen Niveau aus, so dass die Menschen dort global gesehen arm bleiben, selbst wenn sich ihr Einkommen vermehrfacht.

  Die Globalisierung hat zweifellos dazu geführt, dass Produktionskosten gesenkt und wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten verstärkt genutzt werden konnten. Sie hat damit das weltweite Wirtschaftswachstum enorm beschleunigt und den globalen materiellen Wohlstand gefördert. Sie hat bestätigt, was die ökonomische Theorie spätestens seit David Ricardo postuliert: Internationaler Handel ist für die Beteiligten vorteilhaft, wenn auch keinewegs in gleichem Umfang.

  Wegen der verbreiteten Ungleichgewichtigkeit greifen Staaten immer wieder zu Schutzmaßnahmen für die nationale Wirtschaft und gegen den Freihandel, vor allem solange die ökonomischen Ausgangsbedingungen für die nationale Wirtschaft deutlich schlechter sind als für ihre internationale Konkurrenz. Wirtschaftlich weniger entwickelte Länder versuchen auf diese Weise, ihrer Wirtschaft zu helfen, überhaupt erst einmal konkurrenzfähig zu werden und nicht im Status des Lieferanten billiger Rohstoffe und Arbeitskräfte zu verharren. Dies ist auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sinnvoll, ermöglicht es doch den industriell bisher weniger entwickelten Ländern, sich aus der technologischen Abhängigkeit vom globaeln Nordens zu befreien.

  Ob mit oder ohne Freihandel, der materielle Wohlstand eines Landes und der ganzen Welt ist sehr ungleich verteilt. Die Globalisierung hat auch diese Ungleichheit stark gefördert. Das zeigt sich besonders plastisch an der Spitze der Wohlstandspyramide. Weltweit, auch in Drittweltländern, hat sich eine sehr kleine ökonomische Gruppe von wenigen Tausend Superreichen gebildet, die die größten Gewinner der Globalisierung sind und denen es gelungen ist, soviel Vermögen zu akkumulieren, wie die 40% Ärmsten (das sind etwa 4 Mrd. Menschen!) ihr eigen nennen. Dieser unvorstellbare Superreichtum  ist unmoralisch, demokratieschädlich und ein Schlag ins Gesicht nicht nur aller Freihandels- und Globalisierungsverfechter, sondern vor allem auch allen Bemühens um eine nachhaltige Entwicklung.

  Betrachtet man nur das Konsumverhalten der Superreichen und ihrer nächsten Einkommens- und Vermögensnachbarn, dann zeigt sich, dass das reichste 1% der Weltbevölkerung für 16% der weltweiten Klimagas-Emissionen verantwortlich ist, die reichsten 10% für etwa die Hälfte.  Zu diesen 10% gehören auch 53% der Deutschen. Und: Das reichste 1% der Deutschen emittierte 2019 83,3 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr und damit mehr als 15mal so viel wie ein Mensch aus der ärmeren Hälfte der Deutschen (5,4to). Auch bei uns herrscht also eine extreme Schiefe nicht nur des materiellen Wohlstands sondern auch der Umweltschädigung.

  Die wirtschaftliche Globalisierung, wie wir sie heute beobachten können, ist maßgeblicher Treiber dieses Vermögens- und Schadens-Wachstums. Denn es sind die Möglichkeiten der globalen Informationsstrukturen wie der verkehrstechnischen Rahmenbedingungen, die es insbesondere großen Unternehmen gestatten, weltweit zu produzieren und zu verkaufen, ihre Marktmacht und damit das (vor allem das eigene) Wirtschaftswachstum zu steigern. Zudem verlagern sie ihre Produktion oder Teile davon in Niedriglohnländer der dritten Welt, oft ohne dass die dortigen nationalen Unternehmen und vor allem die Beschäftigten davon profitieren. Allein China ist es gelungen, durch restritkive Ansiedlungspolitik und Kooperationsverpflichtungen auch Vorteile für die heimische Wirtschaft zu generieren.

  Die so gestärkte chinesische Wirtschaft trägt nun ihrerseits durch die Überschwemmung der Welt mit niedrigpreisigen Konsumgütern zu Wachstum und Globalisierung bei.  Das führt dazu, dass auch im globalen Norden Konsumenten mit niedrigem Budget verstärkt Billigprodukte kaufen und damit ihren ökologischen Fußabdruck massiv erhöhen. Diese Produkte sind weder langlebig noch sonst sinnvoll, sondern werden in kurzer Zeit zu Müll. Immerhin beginnen die EU und die USA jetzt mit dem Erlass von Vorschriften, die dieser Entwicklung Einhalt gebieten sollen. Das geschieht zwar nicht aus ökologischen Gründen, aber immerhin.

 Tatsächlich müsste die Globalsierung durch regulative Vorschriften in erheblichem Umfang nachhaltiger gestaltet werden, als das bisher der Fall ist. Versuche in dieser Richtung stellen z.B. das europäische und noch mehr das deutsche Lieferkettengesetz dar, wobei letzteres lt. Wahlprogramm von einer neuen CDU-Bundesregierung wieder abgeschafft werden soll.

Als weitere regulative Maßnahme ist das Importverbot für Produkte zu nennen, die nicht den Standards des Landes entsprechen, das sie einführen will. Denn die Globalsierung wird von Unternehmen aus entwickelten Ländern immer wieder dazu genutzt, „dreckige“ Produktion ins Ausland zu verlagern und deren Produkte dann ins Heimatland zu reimportieren. „Dreckig“ in diesem Sinne ist sehr oft auch die Gewinnung von Rohstoffen wie seltenen Erden und Metallen, die für digitale Medien überall genötigt werden.

Globale Regulierung ist jedoch ein Vorhaben, das recht enge Grenzen hat. Denn es gibt weder eine politische Instanz, die Regulierung beschließen und umsetzen könnte noch eine wirksame globale Gerichtsbarkeit, die die Einhaltung der Vorschriften und Rahmenbedingungen überwacht. Die internationalen politischen Instanzen wie UN, Weltbank, Welthandelsorganisation oder Internationaler Gerichtshof sind zumeist wenig durchsetzungsmächtig.

 Allerdings hat sich das Tempo der wirtschaftlichen Globalsierung in den letzten Jahren sichtbar verlangsamt, jedenfalls gemessen am Umfang und Anteil internationaler Warenströme. Betriebswirtschaftlich sind die Vorteile großer spezialisierter Produktionseinheiten nicht unbegrenzt und die damit verbundenen Risiken und Koordinationsaufwendungen steigen. Daher haben viele Unternehmen ihre Internationalsierungsbemühungen nicht mehr in dem Umfang fortgesetzt, wie sie Anfang des Jahrhunderts gestartet wurden. Die Verletzlichkeit der internationalen Wertschöpfungsketten ist gestiegen, einerseits durch Corona, andererseits durch die Abhängigkeit von ausländischer Produktion bei Störung der Lieferketten. Die zunehmende Knappheit bestimmter Arzeneimittel in Deutschland hat das schmerzhaft zutage gefördert. Nicht zuletzt scheinen die Verlagerung der Umweltschäden sowohl bei der Rohstoffgewinnung als auch bei kritischen Produktionsprozessen wegen damit verbundener Imageschäden an ihre Grenzen zu kommen. So stößt z.B. die Rohstoffgewinnung für digitale Hardware in Drittweltländern zunehmend auf Widerstand.  Auch die Produktion von „grünem“ Wasserstoff in besonders sonnenreichen Ländern Afrikas ist wegen der Verletzung der Rechte der dort lebenden Menschen problematisch und wird von kritischen Verbrauchern auch so wahrgenommen.

So sensibilisiert, können auch die Verbraucher auf die Merkmale der Globalisierung einwirken. Das hieße allerdings vor allem, Lebensmittel aus regionaler Produktion zu kaufen und saisonal verfügbare Güter zu bevorzugen und wäre daher im wirtschaftlichen Sinne eher globaliserungsschädlich. Denn wer Avocados aus Chile, Wein aus Autralien und Mandeln aus den USA und Rindfleisch aus Argentinien kauft, unterstützt diese Form der Globalsierung und schadet den Menschen im globalen Süden. Wer dagegen Kartoffeln und Kohl aus dem lokalen Hofladen der chilenischen Avocado vorzieht, hilft beim Abbau nachhaltigkeitsschädlicher Globalisierung. Und wer Kriegflüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und Afrika in Europa unterstützt, fördert nachhaltige Globalsierung mehr als mit einer Reise auf die Malediven oder ans Nordkap. So könnte es gehen, respektvoll, nachhaltig und friedlich im global village zusammenzuleben.