Am 13.03.2023 erschien bei BILD ein Beitrag von Jan W. Schaefer, in dem unter anderem Folgendes zu lesen war:
Wohnen und Klimaschutz – bleibt beides wirklich bezahlbar?
Millionen Deutsche fürchten: Nein! Denn klar ist: Heizungs-Verbote (will die Regierung) und Zwangssanierung (will EU) werden richtig teuer. Experten taxieren die Kosten bis 2045 auf rund 1000 Milliarden Euro! Viele Eigentümer sorgen sich deshalb, dass sie sich Wohnung oder Häuschen nicht mehr leisten können. Dem angesehenen Wissenschaftler Prof. Manuel Frondel (58) vom Institut RWI (Essen) platzt nun der Kragen. Frondel zu BILD: „Deutschland ist auf dem Weg in die Öko-Diktatur. Ich bin entsetzt über die Pläne von Robert Habeck zum Heizungs-Verbot.
Mit dem Heizungsgesetz ist es bekanntermaßen anders gekommen. Bleibt der Begriff der Ökodiktatur, der von Befürwortern des Klimaschutzes auch in ganz anderem Verständnis verwendet wird, nämlich als vermeintlicher politischer Ausweg für eine endlich wirksame Nachhaltigkeitswende, die in der Demokratie mit ihrem Zwang zu Kompromissen schwer realisierbar ist. Darauf näher einzugehen, lohnt sich schon, meine ich.
Wir alle merken immer wieder und beklagen in jüngerer Zeit in wachsendem Maße, dass sich unser demokratisches Staatswesen ebenso wie die Weltpolitik insgesamt mit wirksamen Maßnahmen gegen die Klimakrise und die mit ihr verbundenen existentiellen Probleme der Menschheit schwer tun. Das gilt nicht nur in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit, sondern scheint geradezu umfassend zu sein, wenn man bedenkt, wie viele globale Probleme ungelöst sind:
- Kriege zu beenden, wo doch (fast) alle dafür sind, gelingt nicht einmal bei regionalen Konflikten
- Armut abzuschaffen, scheint nicht einmal als Ziel konsensfähig
- Den Hunger auf der Welt zu beseitigen, obwohl genug für alle da ist, scheint unmöglich
- Allen Menschen Bildung zu ermöglichen, ist bisher gescheitert
- Wirksame Gesundheitsvorsorge und Krankheitsbekämpfung klappen allenfalls manchmal
- Mit knappen endlichen Ressourcen sparsam umzugehen, wird nicht wirklich versucht.
- Internationale Migration zu reduzieren und in geordnete Bahnen zu lenken, klappt nicht
Dabei liegt mit den sog. Nachhaltigkeitszielen der UN ein Handlungskatalog vor, der genau ausformuliert, was zu tun und zu lassen ist, um die Welt als einen lebenswerten Ort auszugestalten und zu erhalten. Schon am 25. September 2015 wurden auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in New York diese 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet, die bis 2030 gemeinsam erreicht werden sollen.
In Deutschland lässt sich Ähnliches beobachten, es kommen noch eine Reihe weiterer ungelöster Probleme hinzu, die zum großen Teil durchaus national gelöst werden könnten:
- Die Einkommens- und Vermögensverteilung wird immer schiefer
- Um nicht zu hungern, müssen auch bei uns immer mehr Menschen die Tafeln in Aspruch nehmen (https://www.tafel.de/)
- Das Bildungssystem produziert mehr Bildungsferne als Gebildete
- Schienen, Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude sind so marode, dass sie z.T. schon einstürzen
- Der Staat suventioniert Großunternehmen mit Milliardensummen, hat aber kein Geld für die finanzielle Grundsicherung von Kindern oder andere dringende Aufgaben
- Statt die Klima- und Energiewende bürger- und nutzungsnah umzusetzen, fördert die Politik Dienstwagen-SUVs, Inlandsflugreisen und Flüssiggasiumporte
- Das Gesundheitssystem verschlingt Milliardensummen. Dennoch sind viele Kliniken konkursgefährdet
- Die Migrationsproblematik spitzt sich immer weiter zu und führt zu bizarren Debatten
- Millionen Menschen gehen zu Demos gegen Rechts, aber AFD und BSW erreichen zweistellige Wahlergebnisse
- Alle wissen um die Probleme des Klimawandels, wollen aber ihr gewohntes Verhalten möglichst nicht verändern.
Da schließt sich der Kreis, denn was für die/en Einzelne/n gilt, ist auch das verbreitete Handlungsmuster in Politik und Wirtschaft. „Haben wir immer schon so gemacht.“ „Kann doch nicht ganz verkehrt gewesen sein.“ „Den Menschen nur nicht zuviel zumuten.“
Politik ist zu einem Beruf verkommen, in dem es vor allem gilt, die eigene Position zu sichern, möglichst auszubauen und dafür zu sorgen, dass man nach der Zeit der aktiven Politik, wenn andere die politischen Posten einnehmen, sich Zugang zu Einkommensquellen sichert, die oftmal sogar kräftiger sprudeln als die vormaligen „Diäten“. Nicht der Dienst für das Gemeinwohl, auf den man einen Eid schwören muss, wenn man z.B. ein Ministeramt übernimmt, sondern das Eigenwohl bestimmt zu weiten Teilen das poilitische Handeln. Dafür ist es zudem nützlich, Kontakte zu Wirtschafts-Lobbyisten zu pflegen, die später einmal nützliche Türöffner sein könnten. Gewerkschaften, Verbraucherverbände oder Umweltorganisationen haben da deutlich weniger zu bieten.
Daneben gibt es eine große Zahl von politisch Aktiven, die sich vor allem auf kommunaler Ebene für das Gemeinwesen einsetzen. Als Abgeodnete in Kommunalparlamenten, als haupt- oder ehrenamtliche Bürgermeister*innen, als Wahlhelfer usw. Diese Menschen werden zunehmend zu Zielscheiben für verbale und zum Teil gewalttätige Angriffe andersdenkender Mitbürger. Dabei müssen sie nicht selten den Mangel verwalten und geradestehen für Entwicklungen und Regelungen, die sie selbst gar nicht beeinflussen können, sondern die ihnen von den Ländern oder dem Bund vorgegeben werden.
Auf Landes- und Bundesebene dagegen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wichtige politische Entscheidungen nicht im Interesse der Bürger*innen, sondern unter dem Einfluss der Unternehmens-Lobby getroffen werden. Dabei sind es zumeist die etablierten „alten“ Wirtschaftszweige, deren Verbände lobbyieren, während die z.B. für die Nachhaltigkeitswende bedeutsamen innovativen Unternehmen oft gar keine Verbände haben, die ihre Interessen vertreten und der Politik gegenüber geltend machen können. So gesehen kürzlich bei den erfolgreichen Bauernprotesten, bei denen der die konventionell wirtschaftenden größeren Betriebe vertretende Bauernverband den Ton angab und mit den Politikern verhandelte, während die kleineren und die Öko-Betriebe kaum zu Wort kamen. So geriet der landwirtschaftliche Umweltschutz unter die Räder, zum Nachteil von uns allen.
Nehmen wir noch ein anderes Beispiel, die Energiewende. Auch hier hält die Politik vehement an großtechnologischen Lösungen fest und lässt nur am Rande und eher widerspenstig bürgernahe Entwicklungen zu. Grüner Strom muss vermeintlich in Großanlagen gewonnen und auf Stromautobahnen von Nord- nach Süddeutschland gebracht werden. Das mögen prima Geschäftsmodelle für die etablierten Stromkonzerne und Stromverteiler sein. Viel sinnvoller wäre es, auf kleinräumige Lösungen zu setzen, die Bürder*innen zu Prosument*innen werden zu lassen und so verbrauchsnah wie möglich Strom aus grünen Quellen zu produzieren. Überwiegend geschieht das nicht, sondern Maßnahmen zur staatlichen Förderung z.B. von Solaranlagen auf Mehrfamilienhäusern müssen der Politik mühsam abgerungen werden.
Ist das Ausdruck einer politischen Ökodiktatur, wie der BILD-Autor meint? Oder ist es Ausdruck der Schwäche der Demokratie, wie es diejenigen sehen, die sich zur Durchsetzung ökologisch berechtigter Entscheidungen einen „guten Öko-Diktator“ wünschen, damit endlich wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und anderen ökologisch notwendigen Änderungen realisiert werden?
Das eine ist es schon mal überhaupt nicht, denn was die BILD als Diktatur apostrophiert sind in Wahrheit Maßnahmen, die vielleicht als politisch falsch, aber in keinem Falle als diktatorisch bezeichnet werden können. Und ein Wissenschaftler, der das tut, sollte auf seine Tauglichkeit, ein öffentliches Amt wahrzunehmen, überprüft werden, zumal er in der Vergangenheit bereits mehrfach als Verfasser fehlerhafter bzw. zumindest sehr einseitig orientierter Expertisen zu Fragen der Energiewende hervorgetreten ist.
In parlamentarischen Demokratien gibt es sowohl inner- als auch außerparlamentarische Oppositionen. In der Berliner Ampelkoalition sitzt die Opposition bei Regierungsentscheidungen von Anfang an mit am Tisch. Was die Regierung dann ins Parlament einbringt, wird so gut wie nie genauso umgesetzt, wie es eingebracht wurde. Und was das Parlament verabschiedet, unterliegt der rechtlichen Kontrolle, wie z.B. das Urteil des Verfassungsgerichts zur Schuldenbremse beweist. Zudem gibt es eine freie Presse sowie Funk und Fernsehen, die eine breite Meinungsvielfalt vertreten und ebenfalls als Kontrollinstanzen für die Politik wirken.
BILD und seine „Experten“ zündeln mal wieder, wie es das gegenüber vermeintlich linken Positionen so gut wie immer tut. So auch gegenüber einem Wissenschaftler, der sich für einen kritischen Dialog mit Menschen ausgesprochen hat, die wissentlich extrem umweltschädliches Verhalten an den Tag legen. Das nennt BILD „Öko-Diktatur“ und „Öko-Stasi“. Den kritisierten Wissenschaftler nennt BILD „ARD(!)-Professor“. Geht’s noch? Aber BILD hat Erfolg mit seinen Kampagnen. Viele Bürgerinnen und Bürger wenden sich von den „Altparteien“ ab und den Nazis und Populisten zu, wenngleich diese außer Parolen und Hetze nichts zu bieten haben und zunehmend eine Gefahr für die Demikratie darstellen. Es müsste dringend etwas geschehen, um ernsthafte demokratische Willensbildung im Interesse der Menschen wiederzubeleben.
Und der“gute“ Diktator, der endlich die Schwächen der Demokratie überwindet? Dem ist ebenfalls eine Absage zu erteilen. Eine Diktatur zeichnet sich dadurch aus, dass sie nur die Position des oder der Herrschenden zulässt und alle anderen mehr oder weniger gnadenlos unterdrückt und verfolgt. Beispiele von Diktaturen sind Russland, China oder Nordkorea. Sie können durch demokratische Wahlen an die Macht gelangen, lassen danach aber weder erneute Wahlen noch abweichende Meinungen zu. Was immer an Problemen auftaucht, nur der oder die diktatorischen Herrscher haben das Recht und die Macht zu Antworten und Lösungen. Es gibt weder rechtliche noch parlamentarische Kontrolle, von Pressefreiheit gar nicht zu reden.
Na gut, wird hier zum Teil eingewendet, in Demokratien gibt es doch in absehbarer Zeit kaum die Chance, ein wirklich ernsthaftes Umsteuern hin zu einer Nachhaltigen Entwicklung durchzusetzen. Warum sollten wir die Risiken nicht in Kauf nehmen, solange die diktatorische Macht Nachhaltigkeit durchsetzt und danach ihre umfassende Macht wieder abgibt?
Historische Beispiele belegen, dass eine solche Vorstellung reine Traumtänzerei ist. Alle vermeintlich im berechtigten Interesse des Proletariats gestarteten kommunistischen Revolutionen sind in Diktaturen geendet, in denen es danach nur noch um den Machterhalt der Herrschenden ging. Und wer sollte eine Öko-Revolution starten, wenn es doch noch nicht einmal die Bereitschaft vieler Menschen gibt, sich mit dem Anliegen der sog. Klimakleber überhaupt einmal auseinanderzusetzen? Vor allem aber: Glaubt wirklich einer, dass der wie auch immer an „guten“ Öko-Zielen orientierte Diktator seine Macht wie abgibt, wenn die Ziele erreicht sind?
Zweifellos: Die Nachhaltigkeitskrise ist sehr komplex. Sie unterscheidet sich von anderen Herausforderungen, dass sie weder Zögerlichkeit noch Aufschub duldet, sondern sich durch Nichtstun und Warten auf vermeintlich bessere Lösungen so weit verschärfen kann, dass ein menschliches Gegensteuern nicht mehr möglich ist. Die sog. Kipppunkte des Klimasystems lauern überall und kommen näher. Hier ist Zögern nicht vertretbar, wir müssen handeln, je eher, desto besser. Auch das könnte man „Ökodiktatur“ nennen, ist es doch ein Handlungsdiktat, dem sich die Menschheit nur unter Inkaufnahme hoher Risiken verweigern kann. Es meint dann aber Handeln aus Einsicht in die Handlungsnotwendigkeit.
Das sollten wir Demokraten beherzigen, sonst landen wir womöglich doch noch in einer politischen Diktatur, aus der eine Befreiung nur sehr schwer möglich ist. Um beiden Narrativen von Ökodiktatur den Wind aus den Segeln zu nehmen, scheint es mir unausweichlich, unsere parlamentarische Demokratie so auszugestalten, dass auf den verschiedenen Ebenen nicht mehr die gewählten Parlamentarier abgehoben vom Volk entscheiden. Der Wille der Bürgerinnen und Bürger wird durch Kreuze auf Wahlzetteln nur höchst unvollkommen zum Ausdruck gebracht. Er sollte stärker durch inhaltliche Beteiligung in politische Entscheidungen einfließen. Parlamente können dadurch rückgebunden werden an die Menschen, um deren Interessen und Vorstellungen es ja eigentlich geht.
Instrumente einer solchen Beteiligung sind z.B. Volksabstimmungen und Bürgerräte. Darüber hinaus gibt es viele regionale und kommunale Formen der Bürgerbeteiligung, die zu großen Teilen auch bereits praktiziert werden. Hierfür müssen bessere Rahmenbedingungen geschaffen und Zugangshindernisse verringert werden.
Tatsächlich hat sich die regierende „Fortschrittskoalition“ diese Gedanken zu eigen gemacht und 2023 einen ersten Versuch gestartet. 160 zufällig, aber repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger wurden eingeladen, das Thema Ernährung umfassend zu beraten und Vorschläge an die Politik zu erarbeiten. Herausgekommen ist ein Gutachten, das 9 Vorschläge enthält, die der Politik zur Verbesserung der Ernährungssituation in Deutschland unterbreitet werden. Darin z.B. ein landesweites kostenloses Essensangebot in Kitas und Schulen, ein verpflichtendes Lebensmittellabel zur Herstellung von Einkaufstransparenz und die Umgestaltung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel in dem Sinne, abgestuft von 0% auf Öko-Obst und -Gemüse über reduzierte 7% auf gesunde, umwelt- und klimafreundliche Produkte bis zu den üblichen 19% z.B. auf Zucker. Alles durchaus vernünftige Ideen, wie ich finde.
Das Gutachten wurde dem Bundestag übergeben, von diesem diskutiert und an die Ausschüsse übergeben. Konkrete Beschlüsse sind bisher nicht erfolgt, im Gegenteil, die Profi-Politik hat sich pflichtschuldig bedankt, die Opposition hat ihre Ablehnung solcher Bürgerräte zum Ausdruck gebracht, das war’s. Der berufsjugendliche CDU-Abgeordnete Philipp Amthor sagte z.B.: „Ich glaube nicht, dass man (Schwächen des Parlamentarismus d.Vf.) therapieren kann, indem die Bundestagspräsidentin in einer (…) Bürgerlotterie versucht, ein gut legitimiertes Gremium zusammenzulosen.“ „Der Bundestag wird geschwächt, wenn man den Eindruck vermittelt, dass man den Bürgerwillen oder gar die notwendige Sachkompetenz nur durch neue Instrumente in das Parlament bringen könne.“ Der Mann ist Fachsprecher seiner Fraktion für Staatsmodernisierung!
Zu den wissenschaftlich fundierten klimapolitischen Forderungen der fridays-for-future-Bewegung hatte sich vor Jahren der FDP-Chef Christian Lindner in ähnlich arroganter Weise geäußert: „Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen.“ Das sei vielmehr „eine Sache für Profis“. Eine Reformation der parlamentarischen Demokratie dürfte nur gegen die Widerstand von Politikern dieser Couleur umzusetzen sein.
Vielleicht sollte man im Gegenteil darüber nachdenken, das Wesen der Berufspolitik selbst einer Reform zu unterziehen, z.B. durch eine Regelung, die zulässige Amtszeit von Abgeordneten zu begrenzen. Allerdings haben auch die GRÜNEN, bei denen es so etwas schon einmal gab, sie inzwischen wieder abgeschafft. Weil aber der Vorwurf der Bürgerferne von Berufspolitikern kaum geleugnet werden kann, sollte ein neues Nachdenken über Alternativen zur lebenslangen Berufspolitiker-Karriere nicht tabuisiert werden.
Insgesamt gibt es aus meiner Sicht keine Wahl: Die Demokratie ist die Staatsform, der gegenüber alle anderen mehr Nachteile als Vorteile haben. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sich nicht nur in Deutschland immer mehr Menschen solchen politischen Kräften zuwenden, die mit demokratischen Idealen wenig am Hut haben. Daher ist es auch und gerade im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung unausweichlich, über wirksame Reformen des Parlamentarismus nachzudenken, Bürger und Politiker näher zueinander zu bringen, Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen. Ökodiktatur ist weder in der aktuellen Politik erkennbar noch eine ernstzunehmende politische Option.