Im Juli/August ist Urlaubszeit in Deutschland, nach Lesart der Touristiker die schönste Zeit im Jahr, auf die alle verdientermaßen hinfiebern. Da wird kein Geld gescheut, wenigstens einmal im Jahr zu verreisen, auszuspannen und es sich gut gehen zu lassen. Mit dem Deutschlandticket der Bahn an die Nordsee, in die Heide oder die Berge zu fahren und dort Ruhe und/oder Urlaubsbetätigung zu suchen, ist für viele keine Option. Malle/diven oder Kanaren müssen es mindestens sein. Das sei jeder/m von Herzen gegönnt, aber ist es wirklich jedes jahr wieder alternativlos?
Ein deutscher Arbeitnehmer, der tarifgebunden arbeitet (was lt. Stat. Bundesamt immer weniger, 2023 nur etwa 49% der als Arbeitnehmer*innen Berufstätigen tun), gilt ein tariflicher Anspruch auf 28 bis 30 bezahlte Urlaubstage pro Jahr. Außerhalb von Tarifverträgen legt das seit 1963 geltende Bundesurlaubsgesetz einen Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen fest. Die tariflichen Regelungen wurde in jahrelangen Auseinandersetzungen erkämpft, um den Beschäftigten und ihren Familien Erholungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dementsprechend ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit während des Urlaubs verboten.
Was machen die Deutschen tatsächlich während ihres Urlaubs? Die Statistik zeichnet ein gemischtes Bild: Sie verreisen, zwischen einer und drei Wochen, neuerdings eher kürzer aber öfter, am liebsten ins europäische Ausland. Österreich und Italien sind langjährige Spitzenreiter, gefolgt von Spanien, Frankreich und der Türkei. Etwa 17% unternahmen 2019 eine Fernreise zu Zielen außerhalb Europas. Das beliebteste Verkehrsmittel ist der Flieger (47), gefolgt vom eigenen Auto. Die Bahn wird nur von 5% der Urlaubsreisnden genutzt. Dabei gaben sie 2019 stolze 73 Mrd. Euro aus, ca. 8% der gesamten privaten Konsumausgaben. Immerhin jeder dritte plante für 2022, also nach der Corona Pandemie, einen Urlaub in Deutschland, bevorzugt in Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern.
Aber keineswegs alle können sich einen Urlaub außerhalb der eigenen vier Wände leisten. Knapp 22% der Befragten gab Eurostat zufolge an, sich keinen mindestens einwöchigen Urlaub leisten zu können. Bei den Alleinerziehenden waren es sogar 42%. Aber auch Rentner (28,7%) und Haushalte mit Kindern (knapp 24%) sind häufiger betroffen.
Vor allem diesen Menschen, deren Alltag sicher deutlich stressiger ist als der von Besserverdienenden, wäre auf jeden Fall zu wünschen, dass sie mindestens eimal im Jahr – und sei es auch nur für eine Woche – sich einen Tapetenwechsel gönnen könnten. Aber auch allen anderen sei der Jahresurlaub von Herzen gegönnt, wenn denn ……
Ja, es gibt eine ganze Reihe von Kehrseiten der Medaille. Da sind zum einen die diversen ökologischen Probleme: erhebliche Negativeffekte schon bei der Anreise. Nicht selten schlagen die mit dem Auto gefahrenen Kilometer in der Gesamtbilanz des eigenen Autos mit 20 und mehr Prozent zu Buche. Und ein Flug nach Mallorca und zurück nach Deutschland belastet zwar die Haushaltskasse eher gering, bringt aber so viel CO2-Emissionen mit sich wie kaum eine andere Aktivität. Von den ca. 12.500 kg Pro-Kopf-Verbrauch pro Jahr werden für Malle-Hin-und-Zurück mindestens 680 kg verbraucht, also etwa 5,5 %. Bezieht man diesen Verbrauch auf das klimaverträgliche Jahresbudget von 2.300 kg, dann sind es schon knapp 30%.
Am Ferienort geht es munter weiter. Wegen der vielen Touristen sind große Bettenburgen gebaut worden, mit all den ökologisch problematischen Begleiterscheinungen. Vor allem in den Schulferienzeiten sind viele Ferienorte hoffnungslos überfüllt, der Wasserverbrauch steigt immens, das Abfallaufkommen ebenso. Was der Tourist sucht, intakte Natur, saubere(s) Strände und Wasser, zerstört oder mindestens gefährdet er durch sein massenhaftes Kommen selbst. In zahlreichen begehrten Destinationen gehen die Einheimischen inzwischen auf die Straße und fordern eine Begrenzung der Besucherzahlen. Venedig und Dubrownik nehmen Eintritt, wenn Urlauber die Städte betreten wollen.
Die sozialen Folgen des massenhaften Tourismus sind ebenfalls erheblich. In den betroffenen Orten gibt es kaum mehr bezahlbaren Wohnraum. Einheimische können sich ihre Heimat nicht mehr leisten. Das gilt nicht nur für Ziele im Süden Europas, sondern auch für deutsche Uralubsorte wie z.B. Sylt, Berchtesgaden und andere touristisch begehrte Ziele. Hier sind es nicht selten vermögende Großstädter, die Wohnraum aufkaufen, zur Feriendomizilen umbauen und oft nur für wenige Wochen für ihre eigenen Ferien nutzen. Dementsprechend verteuert sich nicht nur normaler Wohnraum, sondern auch die Kosten für die normalen Urlauber steigen beharrlich.
Spezielle Formen des Urlaubs kommen hinzu. Einen wahren Boom erleben Ferien im Wohnmobil. Während in Deutschland 2020/21 mehr als 85.000 Wohnmobile verkauft wurden, sank die Zahl in den beiden Folgejahren und erreichete 2033/24 wieder gut 73.000 Fahrzeuge. Die Zahlen spiegeln die Corona-Pandemie und die anschließende Erholung. Die Preise, die viele Jahre vorher relativ stabil geblieben waren und für Einsteigermodelle zwischen 30 und 50.000 €, für die Mittelklasse bei 70 bis 80.000 € und für die Oberklasse über 200.000 € betrugen, erlebten parallel zur allgemeinen Inflation Steigerungen zwischen 13 und 35%. Das konnten sich immerhin mehr als 70.000 Käufer leisten.
Klar ist, dass derartige Anschaffungen „sich rechnen“ müssen, die meisten Fahrzeuge also intensiv genutzt werden. Meist von Dieselmotoren angetrieben, sind sie nicht gerade klimafreundlich, führen aber zu einer spürbaren Steigerung der Urlaube und Urlaubsdauern. Außer Familien mit Kindern sind zum großen Teil Rentner(paare), die, weil sie keine zeitlichen Beschränkungen haben und, von den Anschaffungskosten abgesehen, die Mehrkosten gegenüber dem Zuhausebleiben eher gering ausfallen. So sind ganze Rentnerlegionen fast das ganze Jahr über im Camper unterwegs, Rente als Dauerurlaub quasi.
Über Schiffsreisen habe ich an anderer Stelle geschrieben. Wenn täglich zwei/drei Schiffsladungen in den beliebten Häfen ab Land gehen, können Einheimische eigentlich nur flüchten. Und die Schweröl-Kreuzer richten auch auf den Meeren viel Schaden an.
Fernreisen machen zwar insgesamt weniger als 20% der Urlaubsreisen aus, schlagen aber hinsichtlich der Kollateralschäden jede für sich deutlich stärker zu Buche. Die Klimafolgen von Fernflügen werden überall beklagt und sind eigentlich allen hinlänglich bekannt. Nur eine Zahl: Für eine Reise von Deutschland nach Südostasien mit einer Flugdistanz von rund 9.000 km fallen über 6 t CO2-Äquivalent an, fast dreimal so viel, wie ein Mensch gerechterweise im ganzen Jahr klimaneutral verbrauchen dürfte.
Mindestens so wichtig sind aber die Schäden, die vor Ort in bisher wenig entwickelten Destinationen entstehen. Wenn Strände zu Partymeilen werden oder Innenstädte zu Themenparks und Einheimische zu Fotoobjekten verkommen, leiden vor allem die Menschen in den Zielländern. Und diejenigen, die unbedingt tolle Urlaubs-Selfies ins Netz stellen müssen, um den Neidern zuhause ihre Weltläufigkeit zu demonstrieren, sind zum einen meistens gar nicht so cool wie sie erscheinen möchten, richten aber auch vor Ort oft erhebliche Schäden an, weil sie Nachahmer generieren, die die empfangenen Fotos unbedingt übertreffen wollen.
Allerdings ist Massentourismus auch in Drittweltländern oft politisch gewollt. Entwicklungsländer wollen ihre Einnahmen aus dem Tourismus massiv steigern: Peru strebt doppelt so viele Touristen an wie bisher, 7 Millionen pro Jahr, Vietnam 13 bis 15 Millionen. Der Tourismus als Wachstumsmotor. Auf der Strecke bleiben Natur und Einheimische, insbesondere solche mit geringen Einkommen.
Nun ist die Reisebranche durch solche Meldungen alarmiert, möchte natürlich die Grundlagen ihres Geschäfts sichern – intakte Natur und gastfreundliche Menschen in den Zielländern – und bietet „sanften“ oder sogar „nachhaltigen“ Torismus an. Was bitte soll das sein?
Wikipedia definiert sanften Tourismus durch folgende Merkmale:
1. so wenig wie möglich auf die bereiste Natur einzuwirken bzw. ihr zu schaden,
2. die Natur möglichst nah, intensiv und ursprünglich zu erleben,
3. sich der Kultur des bereisten Landes möglichst anzupassen.
Damit versuchen die großen Tourismus-Anbieter einen neuen Trend zu setzen und entsprechende Reisen anzubieten, aktuell vor allem in Länder wie Thailand, CostaRica und Mallorca (!). Das Problem ist, dass auch hier die Anreise nur mit dem unökologischsten Verkehrsmittel, dem Fluzeug, möglich ist und dass auch diese Art zu reisen, wenn sie viele Menschen ausüben, Massentourismus darstellt und dessen unvermeidliche Nachteile mit sich bringt.Wenn aber sanftes Reisen, weil teuer, nur für Reiche machbar ist, wird vielleicht der Natur und den Einwohnern der Zielländer weniger Schaden zugefügt. Es bleibt aber zutiefst undemokratisch, weil nicht nur Arme, sondern auch die normal verdienende Mehrheit davon ausgeschlossen ist.
Also, die Maus beißt keinen Faden ab, Massentourismus, vor allem in ferne Länder, ist ein höchst fragwürdiges Merkmal der westlich-industriellen Lebensweise und sollte daher nicht angeboten und von Urlaubern regelmäßig wahrgenommen werden, wenn wir das Ziel der Nachhaltigkeit wirklich erreichen wollen. Als unvermeidliche, jedes Jahr gleichermaßen praktizierte Form der Erholung mit Sonnengewähr ist Urlaub zum Fetisch erstarrt. Und wer ihn kommerziell in vermeintlich nachhaltigen Tourismus umformen will, macht seinen Kunden etwas vor.
Junge Menschen, die nach dem Schulabschluss „die Welt“ kennenlernen wollen, seien dazu ausdrücklich ermuntert, auch wenn sie dabei fliegen müssen. Sie reisen in der Regel als individuelle Rucksacktouristen und lassen sich auf die Kulturen der Gastländer ein. Einmal gesettelt, mit Partner*in und Kindern, sollte man den Verlockungen der Reiseindustrie widerstehen, auch und gerade wenn Malle-Flüge für 20€ angeboten werden.
Heimatnah lassen sich viele Urlaubsformen praktizieren, die Entspannung, Betätigung und das Kennenlernen von Neuem mit sich bringen, aber nicht umwelt- und sozialschädlich sind. Kennen Sie wirklich alle möglichen Urlaubsziele im Umkreis von 200 km um ihren Wohnort? Wenn man dann auch noch das Handy ausschaltet, dann ist das ist Erholung vom Arbeitsstress ohne Risiken und Nebenwirkungen garantiert. Dazu brauchen Sie gar nicht Ihren Arzt oder Ihren Apotheker zu fragen.