Manche Lebensgewohnheiten haben auf den ersten Blick mit dem Nachhaltigkeitsthema nicht viel zu tun. Zum Beispiel die Haltung von Haustieren. Oder Motorradfahren just for fun, die Verbreitung von Tierbildchen über Whatsapp, das Verbreiten von Tanzvideos auf Instagram oder Tiktok. Es sind einfach Lebensäußerungen, die wir uns leisten, weil sie uns Spaß machen, weil sie gerade „in“ sind oder aus welchen anderen Gründen auch immer. Das moderne Leben ist bunter und vielfältiger geworden, als es noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten war. Bei aller Individualisierung, die von Soziologen beobachtet und von nicht wenigen Älteren kritisch begleitet wird, finden sich hier Gleichgesinnte mit ähnlichen Vorlieben zusammen und bilden neue Gemeinschaften, wenn auch oftmals nur kurzfristig. Unter Nachhaltigkeitsgesichtpunkten ist es nützlich, diese Entwicklungen zu hinterfragen.
Spätestens seit der Mensch sesshaft wurde, vernutzt er mehr ihn umgebende Natur als nachwächst. Jäger und Sammler nutzen nur die „Früchte“ der Natur. Ackerbauer und Viehzüchter gestalten sie um. Sie bilden Privateigentum an Land und Vieh, das sie gegen andere schützen und von dessen Nutzung sie andere abhalten. Eine wachsende Ausdifferenzierung der Gesellschaften folgt. Soziale Spannungen und wirtschaftliche Ungleichheiten entwickeln sich. Kriegerische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen und Stämmen nehmen zu. All dies bringt ein zunehmend nicht-nachhaltiges Leben und tiefere Eingriffe in die Natur hervor, die in weitgehend egalitären nicht-sesshaften Gesellschaft nicht vorkommen.
Diese sozialen und wirtschaftlichen Ausdifferenzierungsprozesse sind heute so weit fortgeschritten, dass die Welt zwar durch leistungsfähige Verkehrsmittel und Kommunikationssysteme zum globalen Dorf geworden ist, aber andererseits ins Extreme gewachsene soziale und ökonomische Unterschiede erzeugt hat, die sich in diversen Konflikten, Kriegen und Fluchtbewegungen äußern. Der weitaus größte Teil der Menschheit lebt unter schlechten bis gesundheitsgefährdenden Umständen. Eine kleine Minderheit von Bewohnern der nördlichen Hemisphäre verfügt über – auch dort sehr ungleich verteilten – materiellen Reichtum, den sie gern zur Schau stellt, ohne wirklich fürchten zu müssen, dass er ihr vom großen Rest der Welt streitig gemacht wird. Diese Minderheit ist es auch, die für den größten Teil der aktuellen Naturvernutzung verantwortlich ist, der das Überleben der Menschheit erkennbar gefährdet. Die zynische Zuspitzung der Situation besteht darin, dass es nicht die für die Entwicklung verantwortliche Minderheit ist, sondern die arme Mehrheit, die gezwungen ist, „die Suppe auszulöffeln“, weil sie in Regionen lebt, die am stärksten von den Folgen der Übernutzung der Natur betroffen sind.
Es ist die schier unbegrenzte Dynamik der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die der Entwicklung neuer Handlungs- und Konsummöglichkeiten eine immer noch wachsende Geschwindigkeit verleiht. Gab es bis vor wenigen Jahrzehnten z.B. in der Kleidermode vier jahreszeitlich bedingte Phasen im Jahr, so sind es heute in der sog. fast fashion wesentlich mehr. Neue Trends setzen sich binnen Wochen durch, auch weil der Design- und Entwicklungsprozess erheblich verkürzt wird. Dabei finden Design und Vermarktung in den Ländern des Nordens statt, produziert wird dagegen in den Niedriglohnländern des Südens. So wird es möglich, Kleidung billig und massenhaft herzustellen und zu verkaufen. Und es sind keineswegs nur die üblichen Verdächtigen wie H+M, KiK, Primark und Zara, sondern auch vermeintliche Edelmarken wie Hugo Boss und Lacoste, die dieses Geschäftsmodell praktizieren, Letztere für die zahlungskräftige Kundschaft, Erstere für alle anderen.
Damit ist der Mechanismus beschrieben, der in dieser Entwicklung zum Ausdruck kommt. Lanciert über diverse Marketing-Helfer (in diesem Falle Modenschauen, Modezeitschriften, Models und Influencer*innen) wird ein Angebot auf den Markt geworfen, dem sich dank seiner Omnipräsenz kaum jemand entziehen kann. Wir Normalos stürmen die Läden, um auch so zu sein oder mindestens auszusehen wie die Glamourgrößen. Und dann kauft der/die Durchschnittsdeutsche jährlich zwischen 12 und 15 Kilo Kleidung, die allenfalls kurz, oft auch gar nicht getragen bald wieder durch neue Teile ersetzt wird. Nachhaltig ist das nicht wirklich.
Diese Beobachtungen aus dem Bereich der Kleidung lassen sich mit Abwandlungen auf viele andere Bereiche übertragen. Ein Film wie Easy Rider transportiert das Lebensgefühl von Freiheit und Abenteuer beim Motorradfahren und Millionen junge und nicht mehr ganz junge Männer wollen das auch. Sie kaufen sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten Motorräder, mit denen sie allein oder besser in Gruppen die Wochenenden auf der Straße verbringen. So gibt es mehr als 5 Mio. Motorräder in Deutschland, die zum größten Teil nicht als „normale“ Verkehrsmittel, sondern als Freizeitvehikel mit Spaßfaktor genutzt werden.
Irgendjemand postet Katzen- und Hundewelpen-Fotos im Internet, manchmal gar nicht aus kommerziellem Interesse. Millionen sehen die Bilder und kaufen sich von professionellen Züchtern eines oder mehrere Haustiere. Manchmal merken sie schon recht bald, wie mühsam Tierhaltung in der Zwei-Zimmer-Wohnung sein kann und bringen die Tiere doch lieber wieder ins Tierheim. Viele Haustiere aber werden innig geliebt und wie menschliche Gefährten behandelt, in Deutschland allein ca. 16 Mio. Katzen und 11 Mio. Hunde. Um die Tiere zu ernähren und zu versorgen, werden jährlich etwa 11 Mrd. € aufgewendet. Der CO2 Ausstoß eines als Haustier gehaltenen Hundes entspricht dem einer Autofahrt von ca. 3.700 km.
Die Social-Media-Plattformen Instagram, Tiktok u.a. sind berühmt dafür, dass auf ihnen ungezählte Fotos und Filmchen hochgeladen und mit anderen geteilt werden. Sie werden von Millionen insbesondere junger Menschen genutzt, die nicht selten einen beträchtlichen Teil ihrer Freizeit auf ihnen verbringen. Die sozialen Folgen dieser ausgeprägten Nutzung werden zum Teil heftig kritisiert. Ich stehe nicht an, ein Urteil über diese Plattformen zu fällen, da ich sie aus eigenem Erleben nicht kenne. Wenn man jedoch bedenkt, wieviel Strom und andere Ressourcen durch ihre weltweite Nutzung verbraucht werden, ist auch hier das Urteil „nicht nachhaltig“ angebracht.
Genug an Beispielen! Was Loriot einmal über das Leben mit Möpsen sagte (Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos), mögen Modefans, Biker, Haustierhalter und Instagram-Nutzer über ihre entsprechenden Lebensinhalte und Vorlieben auch denken und sagen. Und ich bin der Letzte, der ihnen Vorwürfe darüber machen würde. Feststellen darf man aber schon, dass das heutige Leben insbesondere in unseren Breiten in hohem Maße davon geprägt ist, dass jede und jeder vieles von dem kommerziellen Angebot wahrnimmt, das es gerade gibt und dass nicht zuletzt dadurch unser ökologischer Fußabdruck so exorbitant hoch ist, wie er eben ist: um ein Vielfaches zu hoch, um nachhaltig möglich zu sein.
Wäre der Verzicht auf das eine oder andere von den vielen angebotenen Möglichkeiten wirklich so einschneidend, dass er unzumutbar ist? Man fragt sich angesichts der vielen materiell oft aufwendigen Hobbies und Freizeitvergnügen doch manches Mal, warum sie oder er ausgerechnet dies oder das tun. Die Antwort ist nicht selten: weil sie es tun können und irgendwie chic oder angesagt finden.
Und umgekehrt auf Seiten der Anbieter: Muss alles, was sich irgendwie zu Geld machen lässt, auch noch obendrauf gepackt werden auf den Konsumrucksack, den wir in Europa allesamt tragen, Reiche und Vermögende viel mehr als Normalos und Arme? Könnten nicht Unternehmen ab und zu mal zu Unterlassern werden, wenn sie wirklich ein nachhaltiges Leben fördern wollen, wie viele von ihnen das immer wieder behaupten? Zu viel verlangt?