Auf manchen unserer Straßen sieht es so aus wie auf dem Bild: Halten verboten, überholen verboten, durchfahren verboten. Und auch wenn die Häufung solcher Verbote nervt, grundsätzlich hat kaum jemand etwas dagegen, dass im Straßenverkehr Regeln und damit Ver- und Gebote herrschen, an die man sich halten muss, um Unfälle oder Verkehrsstörungen zu vermeiden.
In der Politik scheint das anders zu sein.Hier gefallen sich Politiker immer wieder in der Ablehnung von Verboten, besonders wenn sie dem Stammtisch gefallen wollen. Neuerdings gilt das vor allem, wenn bestimmte umweltschädliche Verhaltensweisen mit Verboten verhindert werden sollen. Sinnvoll?
Erst kürzlich war es die CDU, die im Deutschen Bundestag eine Debatte über Verbote in der Politik auf die Tagesordnung setzen ließ. „Freiheit statt Verbote – Den mündigen Bürger stärken“ war der Titel einer aktuellen Stunde. Konkret ging es der Opposition um das sog. Heizungsgesetz der Ampel-Regierung, das ein Verbot von Gas- und Ölheizungen vorsehe und nur ein Beispiel für die „Ampel-Verbotspolitik“ sei, mit der mündige Bürger von der aktuellen Regierung gequält und verängstigt würden.
Diese Debatte hat Tradition. Immer wieder werden vermeintliche Verbote oder verordnete Pflichten angeprangert und mit dem Hinweis auf die Freiheitsrechte der Bürger*Innen zurückgewiesen. So wurde 2013 der Vorschlag der GRÜNEN, in Kantinen einen Veggieday einzuführen, als Fleischverbot und als Bevormundung der Bürger diskreditiert. Aktuell in der landesweiten Hochwassersituation wird die von der Ministerpräsidentenkonferenz geforderte Einführung einer Pflicht zum Abschluss einer sog. Elementarschaden-Versicherung von der regierungsinternen Opposition abgelehnt. Bereits in den 70er Jahren wurde die Einführung einer Gurtpflicht in PKWs so heftig bekämpft wie Anfang der 2000er das Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen und 2021 die Corona-Impfpflicht. Sind politisch verordnete Verbote und Pflichten Eingriffe in die Freiheit der mündigen Staatsbürger? Sind sie deshalb verwerflich und abzulehnen?
Anordnungen des Staates werden von Kritikern oft in die Nähe von diktatorischen Freiheitsbeschränkungen gerückt. Das ist Unsinn. Grundsätzlich hat auch der demokratische Staat die Aufgabe, Regeln des Zusammenlebens festzulegen und den Erfordernissen aktueller Entwicklungen anzupassen. Und Regeln haben immer Zwangscharakter, denn sie fordern – oft sogar strafbewehrt – ein bestimmtes regelkonformes Verhalten. Es gibt ein Verbot von Mord und Totschlag und wer dagegen verstößt, wird bestraft. Es gibt die Pflicht, Steuern zu bezahlen und wer dagegen verstößt, sollte ebenfalls bestraft werden, auch wenn der Staat hier manchmal zu ungewöhnlichen Maßnahmen wie z.B. dem Kauf von Steuersünder-Dateiträgern greifen muss.
Das Gleiche gilt für Regeln des Straßenverkehrs, des Häuserbaus, der Kindererziehung usw. usw. Es gilt nicht für diverse Vorschriften des Umweltrechts wie z. B. die Pflicht der Automobilhersteller, einen 95%igen Anteil an in Autos verarbeiteten Stoffen stofflich recyclingfähig zu gestalten. Diese Vorschrift wurde seit Geltung trotz fehlender Starfandrohung überwiegend eingehalten.
Nicht immer gelingt es dem Staat, die von ihm auf demokratischem Wege in Geltung gesetzten Regeln flächendeckend durchzusetzen. Denn die Einhaltungskontrolle ist notwendig lückenhaft. Sie ist sogar gewollt lückenhaft, denn wäre sie es nicht, wäre der Weg zum totalen Überwachungsstaat a la China nicht mehr weit. Vielfach wären Maßnahmen zu einer flächendeckenden Kontrolle zudem undurchführbar. Selbst die Pflicht zur Lösung eines Fahrscheins für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wird nur von den Verkehrsunternehmen selbst kontrolliert und auch das nur stichprobenhaft. Die Regeln eines demokratischen Staates gehen daher regelmäßig nur so weit, dass sie von einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gutgeheißen und von den anderen zumindest akzeptiert werden. Bis 1994 gab es z.B. den Paragraphen 175 StGB, in dem homosexuelle Aktivitäten unter Strafe gestellt wurden und auf Grund dessen Tausende Homosexuelle mit Gefängnis bestraft, von den Nazis sogar gefoltert und ermordet wurden. Es bedurfte eines langen Kampfes, bis sich die Politik entschloss, der gewachsenen Mehrheit der Bevölkerung zu folgen und die Bestimmung ersatzlos zu streichen.
Manchmal ist es sogar so, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sich verschärfte Regeln wünscht, diese von der aktuellen Politik jedoch nicht in Geltung gesetzt werden. Ein solches Beispiel ist das Tempolimit auf Autobahnen, das es in allen EU-Ländern gibt, nicht aber in Deutschland. Hier waren und sind es die zuständigen Fachminister, die ein Tempolimit als Eingriff in die Freiheit der Bürger ablehnen, obwohl selbst eine Mehrheit der ADAC-Mitglieder es befürworten.
Das Verdikt „Bevormundung“, „Freiheitseinschränkung“ und dergleichen wird dennoch immer wieder bemüht, zumeist von Politikern oder publizistischen Medien, die im Rahmen einer politischen Debatte um neue Regeln gegen deren Einführung sind. Das gilt aktuell vor allem für nachhaltigkeitsbezogene staatliche Vorschriften, die ein umweltschädliches Verhalten verhindern und ein in Richtung Nachhaltigkeit förderliches Verhalten unterstützen wollen, also z.B. den Veggieday oder das Gebäudeenergiegesetz. Auch wenn beide Vorschriften überhaupt keinen Zwang beinhalten, sondern den betroffenen Bürgern sowohl Freiräume lassen (beide) als auch lange Umsetzungsfristen gewähren (Heizungsgesetz), werden sie von den jeweiligen politischen Gegnern mit den einschlägigen Prädikaten versehen und damit öffentlich gebrandmarkt. Nach Einführung der Regeln verebbt die Kritik nicht selten und schlägt sogar manchmal in eine breite Zustimmung um (Gurtpflicht, Rauchverbot). Nicht selten schrecken Medien und Politiker auch nicht vor der Verbreitung plumper fake-news zurück wie z.B. davor, von einem angeblich von der Ampel geplanten „Fleischverbot“ so lange zu reden, bis ihre Anhänger es glauben.
Der sachliche Hintergrund für die jüngeren vermeintlichen Verbotspläne ist zumeist das Bemühen, Verhaltensänderungen in Richtung Gesundheit und Nachhaltigkeit auch bei den Bürgerinnen und Bürgern zu bewirken, die von sich aus mehr oder weniger gedankenlos z.B. zu viel Fleisch essen, als ihnen nach übereinstimmendem Urteil der Fachwelt gesundheitlich zuträglich ist. Oder sie emittieren mit ihren Heizungen übermäßig CO2, was den Klimawandel befördert und so für sie oder zumindest ihre Nachkommen ebenfalls schädlich ist. Der Verzicht auf solche Vorgaben wäre daher eine gedankenlose Fortschreibung des Weiter So, von dem wir alle wissen können, dass es keine Option darstellt.
Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit kann Politik also nicht allein durch gutes Zureden und finanzielle Anreize bewirken. Verbote und Pflichten sind ebenso unvermeidbar wie das politische Kreuzfeuer der einschlägigen Kreise und ihrer Medienhelfer von BILD bis Focus dagegen. Nachhaltigkeitsorientierte Politik muss sich den Bürger*Innen gegenüber argumentativ legitimieren. Das eine oder andere Verbot auch gegen politische Widerstände durchsetzen muss sie aber auch.