Jetzt ist das deutsche Team auch noch rausgeflogen, zum zweiten Mal schon in der Vorrunde. Katzenjammer hierzulande, Schadenfreude bei vielen anderen Nationen. Denn: Ohne die Deutschen,
die doch nur immer was zu meckern haben, kann man entspannt aufspielen. Tatsächlich gibt es seit Wochen kaum ein anderes Thema mehr als die Männer-Fußball Weltmeisterschaft in Katar. Einerseits
das Übliche: gespannte Vorberichte, rund um die Uhr Fernsehübertragungen, Extra-Beilagen in jeder Zeitung. Millionen vor den Bildschirmen. Andererseits aber auch: Bereits vorab heftige Kritik an Fifa und Gastgeberland wegen Bestechung,
Menschenrechtsverstößen und vielem anderen. Manch einer ruft zum Boykott auf. Aber auch die kritischsten Kritiker (wie ich selbst) finden sich dann doch wie kürzlich 17 Mio. deutsche Zuschauer
beim Spiel gegen Spanien vorm Bildschirm wieder, zumindest bei den Spielen der deutschen Mannschaft. Erleichterung, dass das ja nun entfällt. Weit weniger thematisiert wird bisher allerdings die
ökologische Dimension dieser WM: Die gigantische Materialverschwendung, der extreme Einsatz fossiler Energie und weitere ökologische Probleme bei dieser von der Fifa als „erste nachhaltige WM aller Zeiten“ angepriesenen Megaveranstaltung. Stöbert man ein bißchen im Netz,
dann findet man aber doch einige Details.
Bereits bei der Vergabe der WM an den Wüstenstaat konnte man nicht nur wissen, dass wieder einmal Bestechung im Spiel gewesen ist, sondern auch bereits ahnen, dass hier auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten Fatales entschieden worden war. Immerhin ist Katar das Land, dessen CO2 Emissionen pro Kopf weltweit mit deutlichem Abstand am höchsten sind: 2016 waren es 30,8 to pro Einwohner. Deutschland hatte seinerzeit 8,9 to pro Kopf. Und damals sollte die WM ja auch noch im Sommer stattfinden!
Nach der Verschiebung auf den Winter hätte vieles anders gemacht werden können. Immerhin liegt die Durchschnittstemperatur im europäischen Winter dort abends bei etwa 25 Grad. Es gibt also keinen wirklichen Grund dafür, gigantische Kühlanlagen für die Stadien und die anderen Einrichtungen zu bauen. Das Land ist klein genug, um eine WM der kurzen Wege zu organisieren, wenn man gewollt hätte. Eigentlich! Aber die Fifa wollte vor allem das viele Geld der Scheichs und die wollten klotzen, nicht kleckern. (Gesamtkosten ca. 220 Mrd. $, mehr als 50mal so viel wie 2006 in Deutschland) Sie ließen von Fremdarbeitern aus Südostasien unter Inkaufnahme des Todes von über 6.000 Arbeitern, unter menschenunwürdigen Bedingungen und oft ohne die zugesagten Löhne zu zahlen, 8 neue Stadien bauen, die nach der WM nicht mehr gebraucht werden, aber angeblich umgenutzt werden sollen, denn große Fußballspiele wird es im Land danach wohl kaum mehr geben.
Auch wenn eines der Stadien aus alten Schiffscontainern errichtet wurde und nach der WM wieder rückgebaut werden soll: Allein mit dem Bau der Stadien, Hotels und sonstigen Infrastruktur (z.B. einer klimatisierten U-Bahn, geplant von der Deutschen Bahn) ist nicht nur ein Massengrab, sondern auch mit einem gigantischen Material- und Umweltverbrauch verbunden.
In der Bauwirtschaft geht man davon aus, dass der Energiebedarf eines Gebäudes mindestens zu 50% bereits in der Bauphase anfällt, bei der Herstellung und Verarbeitung der benötigten Materialien. Die andere Hälfte fällt während der Nutzung an. Fifa und Katar beziffern die für den Stadionbau anfallenden CO2 Emissionen auf 200.000 to. Die Klimaschutzorganisation Carbon Market Watch dagegen rechnet mit bis zu 1,4 Mio. to. Für die sieben permanenten Stadien werden die Emissionen zudem auf 60 Jahre umgelegt, aber nur 70 Tage davon fließen in die WM-Ökobilanz mit ein. Begründung: Sie würden danach ja weiter genutzt, z.B. für den Frauenfußball, der in Katar bekanntlich intensiv gepflegt wird.
Hinzu kommen weitere Umweltverbräuche durch die Anreise und Unterbringung der Mannschaften und Fans sowie Fernseh- und Medienübertragungen weltweit. Für die letzte WM in Russland wurde allein hierfür ein Wert von 2 Mio. to CO2 –Äquivalent ermittelt. Für die derzeitige WM dürfte der Verbrauch noch höher liegen. Denn die Unterkünfte für einen großen Teil der Fans liegen nicht etwa in Katar selbst (Stichwort kurze Wege), sondern z.B. in den benachbarten Emiraten, in Kuwait oder dem Oman. Täglich sollen bis zu 160 Shuttle-Flüge von etwa 45 min. einfacher Flug zwischen den Quartieren und den Spielstätten durchgeführt werden. Insgesamt muss also mindestens mit 10 Mio. to CO2 Emissionen gerechnet werden, dreimal so viel wie die Fifa behauptet und mehr als die gesamte deutsche Landwirtschaft in einem Jahr emittiert.
Darüber hinaus beteuern die Veranstalter, dass die „verbleibenden unvermeidbaren Emissionen ausgeglichen werden“. So wurden z.B. in Doha und Umgebung eine Million neuer Bäume gepflanzt. In einer der trockensten Regionen der Welt ist das vermutlich vergebene Liebesmüh, zumindest ohne ständige künstliche Wasserzufuhr. Daher sieht man in Doha Tausende von Kilometern verlegte Sprinklerschläuche. Wie lange sie nach der WM bleiben werden? Denn das Wasser stammt aus Meerwasserentsalzungsanlagen, die auch das Trink- und Duschwasser für die Menschen bereitstellen. Finanziell kann sich das Emirat diesen Aufwand locker leisten. Ökologisch ist er widersinnig.
Der größte Teil der Treibhausgasemissionen soll allerdings kompensiert werden. Über Kompensation habe ich an anderer Stelle einiges geschrieben. Aber hier ist es noch schlimmer: Denn kompensiert, also durch Investition in klimaschonende Maßnahmen wie Neuvernässung von Mooren oder Wiederaufforstung von Wäldern ausgeglichen, wird nicht etwa über seriöse Kompensationsvermittler wie atmosfair , sondern über eine Organisation namens Global Carbon Council, 2016 in Katar mithilfe der Regierung gegründet, deren Klimaschutzverständnis zumindest hinterfragt werden muss. Denn sie fördert Projekte, deren Klimaschutzwirkung fraglich und die auch ohne diese Förderung allein aus wirtschaftlichen Gründen realisiert werden würden. Auch hier also Greenwashing statt ernsthaften Klimaschutzengagements.
Eines ist klar: Der kommerzialisierte internationale Fußball ist auch ohne die WM in Katar ein gigantisches Umweltschadensprojekt, wenn man nur einmal daran denkt, dass die Reisen der Mannschaften und der Fans überwiegend im Flugzeug stattfinden. Die Spitze war hier das Euro-League-Finale 2019, zu dem zwei Londoner Vereinsmannschaften nach Aserbaidschan(!) flogen, um vor 51.000 ebenfalls überwiegend angereisten Fans dort und nicht etwa im Londoner Wembley-Stadion zu spielen. Wer Klimaneutralität oder gar Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn will, der müsste hier dicke Bretter bohren und würde dennoch scheitern. Nur die Urinale in den Stadien auf Wasserlosigkeit umzurüsten reicht jedenfalls nicht.