Nachhaltige Mode?

 

 

Kürzlich fiel mir ein Plakat ins Auge, auf dem geschrieben stand: „Mode geht auch nachhaltig, bei ….“ Diese Aussage ließ mir keine Ruhe. Wieder nur so ein Slogan mit Nachhaltigkeit, weil’s eben gerade gefragt ist? Oder steckt wirklich etwas dahinter, das Substanz hat? Kann es wirklich „nachhaltige Mode“ geben und was ist das dann? Ich möchte meine Sicht der Dinge darstellen, aber nicht ohne vorher klar zu bekennen, dass ich persönlich auch jenseits meines Engagements für Nachhaltigkeit eher wenig Wert darauf lege, nach der letzten Mode gekleidet durchs Leben zu gehen. Insofern werden Mode-affine Menschen vermutlich eine andere Sicht auf die Dinge haben als ich.

 

 

 

 

 

 

 

   In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, als sich die Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung bildete, gab es bald auch eine spezielle Kleidung für Menschen, die sich als Mitglieder dieser Bewegung zu erkennen geben wollten: Weite selbstgestrickte Pullis, grob gewebte Kleider, Leinenhemden, weite Hosen mit Gummizug statt Gürtel, keineswegs körperbetonte Schnitte, ein offensichtlicher Gegenentwurf zu dem adretten Chic, der ansonsten aktuell war. Die Kleidung musste ihre Trägerin/ ihren Träger auf den ersten Blick als „Öko“ erkennen lassen. Das einzige Öko-Merkmal daran war allerdings oft, dass sie keine synthetischen Fasern enthielten.

  Die etablierte Modebranche kümmerte sich zunächst wenig um diese Entwicklung, zumal nur sehr wenige Menschen interessiert schienen, diese frühe Öko-Mode zu übernehmen. Und jedes Jahr zwei bis vier neue Kollektionen konnte man den Ökos sowieso nicht verkaufen. Bald aber wurde auch dem breiteren Publikum klar, dass die Herstellung konventioneller Kleidung auf den verschiedenen Stufen der Wertschöpfung erhebliche Umweltbelastungen mit sich bringt. Der konventionelle Anbau von Baumwolle (dem wichtigsten Ausgangsstoff) erfolgte und erfolgt bis heute unter massivem Einsatz von Pestiziden und mit hohem Bewässerungsaufwand. Er geschieht zum großen Teil in Drittweltländern mit geringen Umwelt- und Sozialstandards. Diese Schadstoffe können bis zur Fertigstellung im Kleidungsstück verbleiben und gesundheitliche Schäden verursachen. Gleiches gilt für die weitere Behandlung der Fasern (spinnen, weben, färben, schneidern…). Auch sie geschieht zumeist in Ländern wie z.B. Bangladesch unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und mit schlechten Umweltstandards.  Konventionelle Mode ist mithin alles andere als öko.

 Wie in fast allen Branchen traten aber bald Hersteller und Händler auf den Plan, die nicht länger die unchicen Öko-Klamotten anbieten wollten, sondern die Öko-Mode für jede/jeden verkaufen und so Öko-Kleidung für den Massenmarkt attraktiv machen wollten. In Forschungsprojekten wurde versucht, Konzepte dafür zu entwickeln und Hindernisse zu erkennen und zu beseitigen.

 Seither sind unüberschaubar viele Anbieter von Öko- bzw. neuerdings nachhaltiger Mode auf dem Markt.  Große Modelabel fahren dabei zweigleisig, bieten also konventionelle und Öko-Mode an, viele kleinere setzen ausschließlich auf nachhaltige Mode bzw. das, was sie darunter verstehen. Zudem gibt es nicht nur, aber auch für Mode einige Kennzeichen/Label, die von unabhängigen Einrichtungen vergeben werden und sich auf die Fahne geschrieben haben, den Konsument*innen objektive Informationen zur Nachhaltigkeit der von ihnen ausgezeichneten Produkte zu liefern.

 Was aber ist nun eigentlich nachhaltige Mode? Welches sind die Kriterien, die sie auszeichnet oder auszeichnen sollte, wenn sie denn nicht nur Etikettenschwindel sein will? Menschen, die sich darüber ernsthaft Gedanken machen, nennen verschiedene Kriterien:

 · nachweisbare Bemühungen zu Umwelt- und Klimaschutz

 · vorwiegend Baumwolle und andere Materialien aus Bio-Anbau

 · mit seriösen Nachhaltigkeitslabeln ausgezeichnet

  Des Weiteren werden Kriterien wie fairer Handel, Re- oder Upcycling, frei von Giftstoffen, vegan oder auch Kleidungsverleih genannt. Manchmal hat man den Eindruck, dass der Nachhaltigkeitsbegriff, den ein Anbieter oder Händler verwendet, vor allem davon geprägt ist, was auf sein Angebot zutrifft. Aber auch andere Kriterienlisten sind zumeist ziemlich unsystematisch. Da hilft es, die drei Strategien zurate zu ziehen, die für Nachhaltigkeit stehen: Effizienz, Konsistenz, Subsistenz.

 Angewandt auf die Produktion und den Verbrauch von Kleidung könnte Effizienz heißen, dass Kleidungsstücke mit weniger Einsatz von Ursprungsmaterialien wie Garnen, Farbstoffen, Imprägnierstoffen und dergl. hergestellt werden und auch im Nutzungszeitraum einen geringeren Einsatz von Wasch- und Pflegemitteln erfordern. Tatsächlich ist ein solches Verständnis jedoch nicht geläufig. Googelt man „effiziente Kleidung“, dann stößt man lediglich auf die Anbieter von „Schwitzkleidung“, die effizient beim Abnehmen helfen soll und auf Berufskleidungs-Anbieter, die ihren Kunden anstelle personengebundener Berufskluft sog. konfektionsgebundene Kleidung anbieten, die von mehreren Beschäftigten ähnlicher Körpermaße getragen werden kann.  Als effizient könnte man allerdings immerhin den Kleidungsverleih ansehen, der z.B. bei Karnevalskostümen oder festlicher Kleidung recht weit verbreitet ist. Das gibt es durchaus auch im Kontext des Bemühens um Nachhaltigkeit in der Mode. Ansonsten ist bei Effizienzstrategien für Kleidung weitgehend Fehlanzeige.

 Konsistenz macht mehr Sinn. Und tatsächlich, das Stichwort Kreislaufführung gibt es im Sprachgebrauch der Kleidungswirtschaft. Das weiteste Verständnis findet sich im „cradle-to-cradle“-Konzept.  Hier wird ein Produkt so gestaltet, dass es nach der Nutzung vollständig in seine Bestandteile zerlegt werden kann, die danach erneut als Ausgangsstoffe für die Herstellung gleicher Produkte verwendet werden. Bei Kleidung heißt das, verschlisssene Stücke in den Kompost zu geben und damit im Bio-Kreislauf zu halten. Voraussetzung ist natürlich vor allem die Verwendung von Naturfasern und –farbstoffen. Beispiele hierfür sind Sportkleidung der Marke Trigema  oder Handtücher von Clarysse.  Weite Verbreitung hat das Konzept in der Mode allerdings bisher nicht gefunden.

 Auch die Mehrfachnutzung von Kleidung ist eine Variante der Anwendung der Konsistenz-Strategie, wenn auch mit Einschränkungen. Man kann gebrauchte Kleidungsstücke mit etwas Geschick aufarbeiten und ihnen eine zweite Chance geben.  Oder man gibt gebrauchte Kleidung in den second-hand-shop, dann wird sie von anderen weitergenutzt und dadurch ihre Nutzungsdauer verlängert. Zugleich wird Menschen mit geringerem Einkommen geholfen, auch einmal angesagte Marken zu tragen. Was mit der Kleidung am endgültigen Ende der Lebensdauer geschieht, bleibt in diesem Konzept allerdings ungeklärt. Denn kompostierbar oder in wiederverwendbare Einzelteile zerlegbar ist diese Kleidung vermutlich nicht. Und ob die Möglichkeit der Zweit- oder Drittnutzung von modischer Kleidung nicht den einen oder die andere dazu veranlasst, etwas mehr zu kaufen, als man sich eigentlich leisten kann, ist auch nicht verbürgt.

  Eine andere Variante der eingeschränkten Kreislaufführung ist die Verwendung von Kunststoffabfällen als Rohstoffen für Textilien.  Viele Textilhersteller werben damit, für ihre Kunstfasern nicht wie üblich den Rohstoff Öl zu verwenden, sondern recyceltes Plastikmaterial. Teilweise wird sogar behauptet, es handle sich um aus dem Meer zurückgewonnenes Plastik. Einmal abgesehen davon, dass es sich hier keineswegs um eine auch nur annähernd geschlossene Kreislaufführung handelt, halten Experten dies für pures Greenwashing. Denn zum einen gibt es wenig Transparenz über die tatsächliche Herkunft der Sekundärrohstoffe. Zum anderen wäre es auch bei möglicher sortenreiner Sammlung z. B. von gebrauchten PET Kunststoffflaschen wesentlich sinnvoller, diese als Flaschen in Mehrwegsystemen mehrfach wieder zu verwenden, als sie in Textilfasern zu verwandeln.

 Kommen wir zu Suffizienz, also zum Weniger. Bei Kleidung gibt es hier aus meiner Sicht zwei Zugänge: Man kann „zeitlose“ Kleidung kaufen und solange nutzen, bis sie wirklich verschlissen ist. Das würde die Zahl der genutzten Kleidungsstücke und so die Menge der produzierten Kleidung erheblich reduzieren. Die wachsende Zahl der Anbieter von fast fashion hätte so keine Chance mehr. Und damit wäre dem bis zum Exzess gesteigerten Trend, immer schneller immer mehr Kleidung an den Mann und die Frau zubringen, schon ein Riegel vorgeschoben.

 Man könnte aber auch ganz zum Modemuffel werden, der solange in ausgebeulten Jeans und Pullis herumläuft, bis es wirklich nicht mehr geht und dann erst in den Laden geht und dasselbe nochmal ordert. Das wäre dann so eine Art Revival der alten Öko-Mode, nur eben nicht mal in dem Sinne modisch.

 Kleidung ist nicht nur in unserem Kulturkreis mehr als die schützende und wärmende Bedeckung des Körpers. Kleider- Mode ist ein Kulturmerkmal, das es seit Menschengedanken gibt und das von Menschen schon immer genutzt wird, um ihrer Mitwelt ein Signal über sich zu geben, das ihr Erscheinen angenehm macht und sie als zugehörig zu einer mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppe ausweist.  Und Mode war und ist im Gegensatz z.B. zur Tracht, die sogar Jahrhunderte überdauern kann, zu allen Zeiten dem mehr oder weniger kurzfristigen Wandel unterlegen. Der Vorschlag, dem Nachhaltigkeitsanspruch im Sinne der totalen Mode-Verweigerung anzuwenden, würde mithin das Kind mit dem Bade ausschütten.

 Und die Attribute, die die Hersteller benutzen, um ihre Kleidung als nachhaltig darzustellen, was ist davon zu halten? Ich hatte oben bereits erwähnt, dass es sich hierbei um mehr oder weniger beliebig ausgewählte Merkmale handelt, die uns Konsumenten ein gutes Gefühl verschaffen und ansonsten bei der Stange halten sollen, damit wir nicht nachlassen darin, den immer häufiger wechselnden Modetrends zu folgen und zu kaufen, was gerade aktuell ist. Zweifellos ist Bio-Baumwolle ökologisch sinnvoller als konventionelle, sind Naturfasern verträglicher als synthetische Fasern, ist Recycling sinnvoller als der Export von Altkleidern in die dritte Welt. Solange aber die Modezyklen so kurz bleiben, wie sie geworden sind oder gar immer noch weiter verkürzt werden, solange also immer mehr an den Mann oder die Frau gebracht werden soll, vertragen sich diese Bemühungen nicht wirklich mit den Ansprüchen eines nachhaltigen Verhaltens.

 Kleider-Mode ist aus der Welt nicht wegzudenken. Aber damit nachhaltige Mode nicht ein Widerspruch in sich ist, muss es heißen, dass wir von allem weniger nutzen, die Kleidungsstücke langlebiger gestaltet werden, dass wir sie länger nutzen und gegebenenfalls reparieren, wenn sie schadhaft geworden sind und dass wir sie am Ende ihrer Lebensdauer in den natürlichen Kreislauf zurückgeben, sprich kompostieren. Aber auch das hilft nur wirklich, wenn die Mengen nicht durch neue kurzlebige Modetrends immer weiter gesteigert werden. Denn auch eine echte textile Kreislaufwirtschaft würde, wenn alle Menschen sie nutzten und nicht nur wie derzeit die wohlhabenden Bewohner der westlichen Welt, die Tragfähigkeit des Planeten überstrapazieren.