Dieser Tage hatte ich das Vergnügen, einem Vortrag mit dem Titel „Das Plastik-Dilemma“ beiwohnen zu dürfen. Der Vortragende unternahm den Versuch zu klären, ob es einen Widerspruch zwischen Kunststoffen und ökologischer Nachhaltigkeit gäbe. Kurz zusammengefasst: Er sah keinen wirklichen Widerspruch, denn es sei möglich, von der bisherigen linearen Produktionsweise zu einer Kreislaufführung zu kommen und so z.B. Zustände, wie sie das Foto zeigt, zu vermeiden. Er hat seine Zuhörer*innen mit einer Fülle von Fakten und Einschätzungen konfrontiert, aber auch mit Sätzen wie: „Ich will nicht zurück in die Höhle“. „Ich halte nichts von Verzicht, das ist kein game changer.“ Vor allem wegen dieser „Argumente“ hat mich sein Vortrag nicht überzeugt. Da das Thema immer wieder kontrovers diskutiert wird, möchte ich versuchen, etwas Klarheit zu schaffen. Aber ich bin Ökonom und Nachhaltigkeitsfachmann, kein Chemiker. Wenn ich chemische Details fehlerhaft darstelle, bitte ich um Widerspruch.
Einerseits sind Kunststoffe aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Von morgens bis abends sind wir von nützlichen Produkten umgeben, die zumindest teilweise aus Kunststoff hergestellt sind: Verpackungen, Gebäude, Fahrzeuge, Medizinprodukte, Kleidung, Farben, Freizeitartikel, die Aufzählung hat schier kein Ende. Plastik ist formbeständig, leichtgewichtig, bunt, nahezu unbegrenzt einsetzbar und billig herstellbar.
Andererseits werden täglich Tonnen von Plastikmüll in die Weltmeere gekippt, Mikroplastik ist bis in die menschliche Nahrungskette vorgedrungen. Nicht zuletzt wegen der Ubiquität ihres Vorkommens, der oft extrem kurzen Nutzungsphase z.B. von Kunststoffverpackungen und ihrer Langlebigkeit nach Ablauf der Nutzung erstickt die Welt in Plastik. Denn die meisten heutigen Kunststoffe haben die in der Summe negative Eigenschaft, nicht zu verrotten. Plastik besteht zwar aus natürlichen Rohstoffen wie z.B. Erdöl, wird aber chemisch so verändert, dass es in der Form, in der es genutzt wird, in der Natur nicht vorkommt und daher nicht in den Kreislauf der Natur zurückgeführt werden kann.
Die Produktion und Nutzung von Kunststoffen begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts und hat seither eine enorme Steigerung und Differenzierung erfahren. Während 1930 weltweit noch jährlich etwa 10.000 to hergestellt wurden, umfasst die Jahresproduktion heute (2017) 380 Millionen to, also fast das 40.000fache. Seit 1950 wuchs die Produktion von Kunststoffen um mehr als 8% pro Jahr und damit mehr als doppelt so schnell wie die Wirtschaft insgesamt.
Nach ihren Verwendungseigenschaften unterscheidet man drei Gruppen von Kunststoffen: Thermoplaste, Duroplaste und Elastomere. Die meisten der gängigen Massenkunststoffe sind Thermoplaste, z.B. Polyethylen, Polypropylen, Polystyrol und Polyester. Durch Energiezufuhr sind diese Materialien beliebig oft formbar, auch wenn sie in kaltem Zustand fest sind. Daher können sie in nahezu jede Form gebracht werden. Sie werden sowohl für Verpackungen als auch in der Autoproduktion und am Bau eingesetzt. Die Duroplaste, vor allem Polyesterharze, sind meist hart und spröde und daher im weiteren Fertigungsprozess nur noch mechanisch bearbeitbar. Sie werden z.B. für Elektroinstallationen, im Bootsbau und für Oberflächenbeschichtungen eingesetzt. Zu den Elastomeren gehören alle Arten von synthetischem Kautschuk. Diese Stoffe bleiben nach der Herstellung dehnbar, nehmen aber schnell wieder ihre ursprüngliche Form an. Sie werden beim Erwärmen nicht weich und sind beständig gegen die meisten Lösemittel. Eingesetzt werden sie z.B. für Fahrzeugreifen, Spielzeug und Kleidung.
Durchweg kommen Kunststoffe nicht rein zur Anwendung, sondern werden durch vielfältige Additive (Weichmacher, Stabilisatoren und Füllstoffe) optimal auf den jeweiligen Verwendungszweck angepasst. Auch ihre Farbgebung ist sehr variabel. Sie haben zwar zumeist eine geringere Stabilität als Metalle, Keramik oder Glas, sind aber bruchsicher und von geringerem Gewicht sowie kostengünstiger zu produzieren. Außerdem haben sie eine geringe Leitfähigkeit, so dass sie sich vorzüglich für Isolierzwecke eignen. Auch sind sie sehr langlebig, erleiden nur geringen Verschleiß in Form von Versprödung, Quellung oder Verlust an Festigkeit, so dass sie für eine langfristige Nutzung geeignet sind.
Diesen überwiegend als positiv empfundenen Eigenschaften stehen allerdings unübersehbare Negativeigenschaften gegenüber. Insbesondere die sog. Additive sind in größerer Zahl schon bei Gebrauch nachweislich gesundheitsschädlich. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht es als erwiesen an, dass Weichmacher bereits in geringen Mengen das menschliche Hormonsystem schädigen. Zudem landet eine große Menge Kunststoffe in den Weltmeeren und sinkt auf den Meeresboden oder bildet riesige Plastikstrudel an der Meeresoberfläche. So gelangen jährlich mindestens 8 Mio. to Plastik ins Meer und von dort als Mikroplastik in die Nahrungskette. Dies ist insbesondere bei explizit gesundheitsschädlichen Kunststoffen wie polychlorierten Biphenylen höchst problematisch. Jedes Jahr verenden etwa 1 Mio. Seevögel und 135.000 Meeressäugetiere durch den Kontakt mit Plastikmüll. Umweltschützer prognostizieren, dass bei einer fortgesetzten Steigerung der Produktion und Verwendung im Jahr 2050 mehr Plastikmüll im Meer schwimmt als Fische. Auch in die terrestrische Umwelt des Menschen werden Plastikreste eingetragen, z.B. in Form des Abriebs von Autoreifen oder Sportflächen. In Kosmetika wie Duschgel und Peelings wird Mikroplastik sogar ausdrücklich zugesetzt und sogar in Mineralwasser lassen sich Mikroplastik-Teilchen finden.
In den meisten Ländern der Welt besteht die Entsorgung allenfalls in Form der einfachen Deponierung. Aktuelle Erhebungen zeigen, dass von den ca. 7 Mrd. to Plastikmüll, die weltweit bisher hergestellt wurden, fast 80% deponiert oder in der Natur „entsorgt“ wurden. Es gibt jedoch auch Versuche zu einer Kreislaufführung von Kunststoffen. So wurde in Deutschland bereits 2003 ein Pflichtpfandsystem für Dosen und Einwegflaschen eingeführt, das für die Rückführung und Wiederverwertung sorgen sollte. Zudem wurde die getrennte privatwirtschaftlich organisierte Sammlung von Verpackungsmüll in Form des Dualen Systems Deutschland geschaffen, das zu einer möglichst umfänglichen stofflichen Wiederverwertung von Kunststoffen führen sollte. Heute ist 2021 und nach wie vor wird nur ein Bruchteil des auf diesen Wegen eingesammelten Kunststoffs wirklich einer Wiederverwertung zugeführt. Der überwiegende Teil wird verbrannt oder in Drittweltländer exportiert. Die faktische Recycling-Quote von Kunststoffen beträgt nach optimistischen Schätzungen 8 %.
Das Hauptproblem des Kunststoff-Recycling besteht in der enormen Vielfalt der verschieden zusammengesetzten Kunststoffe. Diese können zwar –mit erheblichem Aufwand – aus dem Aufkommen des Gelben Sacks herausgefiltert werden, stellen dann aber immer noch ein derart vielfältiges Gemisch dar, dass eine werkstoffliche oder rohstoffliche Verwertung praktisch ausgeschlossen ist. Lediglich wenn größere Mengen des gleichen Kunststoffs anfallen (z.B. bei Styropor-Verpackungen oder PVC-Produkten aus der Bauwirtschaft), ist eine Wiederverwendung wirtschaftlich machbar.
In jüngerer Zeit wurden auch biologische Abbaumöglichkeiten entwickelt, vor allem für konventionelle Plastik-Produkte. In Versuchen erwiesen sich Insekten, eine Mottenlarve und einige Bakterien als in der Lage, bestimmte Kunststoffe abzubauen bzw. in ihre chemischen Ausgangsstoffe zurück zu verwandeln. Trotz intensiver Forschung ist eine industrielle Anwendung jedoch Zukunftsmusik.
Für die Verwertung von ausdrücklich auf biologische Abbaubarkeit entwickelten Kunststoffen gibt es ebenfalls schwer überwindbare Hürden, wenngleich von diesen immerhin bereits weltweit etwa 300.000 to jährlich hergestellt werden. In der Praxis erweist sich z.B. der Verrottungszeitraum für diese Stoffe als zu lang, gemessen an den in der biologischen Verwertung von organischen Abfällen üblichen Zeiträumen. Das Umweltbundesamt steht daher dem Einsatz dieser Stoffe eher ablehnend gegenüber, weil ihre Ökobilanz deutlich Schwachstellen aufweist.
Kommen wir auf die Titelfrage zurück: Ist Plastik nachhaltig?
Ja, natürlich, und zwar in dem Sinne, dass es einmal produziert dauerhaft in der Welt ist. Ökologisch nachhaltig ist das aber keinesfalls. Kunststoffe sind von Menschen gemacht, kommen in der Natur nicht vor und schädigen dorthin eingebracht die natürlichen Kreisläufe und Lebewesen. Versuche, sie in geschlossenen anthropogenen Kreisläufen zu führen, stoßen auf erhebliche Probleme. Sie können bisher nicht gelöst werden und ihre tatsächliche Lösung wird vermutlich auch nicht gelingen. Echte Feldversuche sind jedenfalls durchweg gescheitert. Denn Kunststoffe werden in einer unüberschaubaren Vielfalt der Stoffe und Stoffverbindungen und in riesigen, ständig wachsenden Mengen produziert und genutzt. Bei den meisten Kunststoffprodukten steht die Nutzungsdauer in keinem Verhältnis zur Nach-Nutzungs-Lebensdauer. Zudem ist der Ausgangsstoff überwiegend Erdöl, dessen Nutzung allein durch das begrenzte Vorkommen endlich ist.
Lassen sich diese Probleme ökologisch nachhaltig lösen? Allenfalls in wirklich geschlossenen Stoffkreisläufen. Hier scheint es aber so zu sein wie bei den vermeintlichen Chancen einer weltweiten Substitution fossiler Brennstoffe durch sog. „grünen“ Wasserstoff: in kleinerem Maßstab machbar, global aber Wolkenkuckucksheim.
Tatsächlich ist es hier wie in fast allen Fällen der Umstellung auf eine wirklich nachhaltige Form des Wirtschaftens. Es muss deutlich weniger produziert und verbraucht werden, damit die Schädigungen von Mensch und Natur beherrschbar bleiben. Und wenn jemand das als „zurück in die Höhle“ bezeichnet, dann charakterisiert das mehr ihn selbst als die damit verbundenen wirklichen Folgen. Bedeutet es wirklich eine Einbuße an Wohlstand für die Menschheit, auf Plastikverpackungen, Schundspielzeug, Synthetik-Kleidung und lackierte Plastik- Autostoßstangen zu verzichten? Sollten wir nicht Plastik nur noch dort einzusetzen, wo es wirklich substantiellen Nutzen stiftet und wo seine Nutzungsdauer in ausgewogenem Verhältnis zu seiner physischen Lebensdauer steht? Hier könnte z.B. eine Rücknahmepflicht für die Hersteller wirkliches Recycling ermöglichen und Preissteigerungen hervorrufen, die der aktuell maßlosen Verschwendung Einhalt gebieten. Nachhaltig geht, wenn die Preise die ganze Wahrheit abbilden, wie es Ernst Ulrich von Weizsäcker vor Jahren bereits gefordert hat..