Kürzlich erschienen mal wieder hoffnungsfrohe Presseberichte über die seit mehr als 20 Jahren stattfindenden Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO über ein internationales Abkommen zur Beendigung nationaler Subventionen für die Fischwirtschaft. Ziel ist es, die weltweite Überfischung der Meere zu beenden. Denn es gibt erhebliche Überkapazitäten der Fischereiflotten, die nicht zuletzt durch staatliche Subventionen erzeugt und bewahrt werden. Die Positionen der Mitgliedsländer liegen aber immer noch weit auseinander. Nachdem zunächst eine Einigung im Juli für möglich gehalten wurde, ist nun von einer Unterzeichnung im Dezember die Rede. Das wäre dringend nötig, aber noch keineswegs ein Durchbruch. Denn es muss viel mehr geschehen, um eine weltweit nachhaltige Fischerei zu schaffen. Schauen wir genauer hin.
Hans Carl von Carlowitz, einer der frühen Verfechter der Nachhaltigkeit, erkannte bereits vor mehr als 300 Jahren, dass nachhaltig wirtschaften vor allem bedeutet, der Natur nicht mehr zu entnehmen als im gleichen Zeitraum nachwächst. Was er für den Wald postulierte, gilt natürlich auch für andere Bereiche der Naturnutzung, z.B: für die Fischerei. Hier allerdings ist die Menschheit seit Jahren dabei, genau das Gegenteil zu tun, nämlich die Meere leer zu fischen. Aber auch das ginge anders, wenngleich es wegen des grenzüberschreitenden Charakters der Weltmeere nicht ganz so einfach ist wie im einzelnen Wald.
Solange die Fischerei nahezu ausschließlich kleinräumig betrieben wurde, gab es das Problem der Überfischung kaum. Die Kapazitäten waren begrenzt, die Flotten und Fangmethoden den regionalen Beständen angepasst, der Radius der Fischerei überschaubar, die nationalen Küstengewässer gewohnheitsrechtlich auf eine Breite von drei Seemeilen (etwa 6km) begrenzt. Erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts unternahmen einzelne Länder Schritte zur Ausdehnung ihrer Hoheitsgewässer, um ihren Fischereiflotten vergrößerte Fanggründe zu sichern. Diverse Versuche einer internationalen Verständigung scheiterten. Erst 1982 wurde ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen geschlossen, das 1994 nach Ratifizierung durch 60 nationale Parlamente in Kraft trat, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ). Es legt fest, dass nationale Hoheitsgewässer die Breite von 12 Seemeilen haben sollen und darin grundsätzlich nur nationale Fischerei erlaubt ist. Auch in der daran anschließenden Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von 200 Seemeilen hat der Anrainerstaat das alleinige Verfügungsrecht über die natürlichen Ressourcen.
Im Prinzip könnte damit mit Hilfe des jeweiligen nationalen Rechts küstennahe nachhaltige Fischerei sichergestellt werden. Denn damit unterliegen zwar nur etwa 35% der Meeresfläche, aber immerhin ca.90% der Fischbestände dem schützenden alleinigen Zugriff einzelner Nationen, die auch die notwendigen Rechtsmittel zur Verfügung haben, ein derartiges Ziel durchzusetzen. Leider geschah überwiegend das Gegenteil: Zwar stellt z.B. die EU seit 2013 ihre Gemeinsame Fischereipolitik ausdrücklich unter die Maxime der Nachhaltigkeit. Tatsächlich sind jedoch kurzfristige wirtschaftliche Aspekte nach wie vor dominant. Auch die EU-nahen Meere sind nach wie vor deutlich überfischt. Die USA sind bisher nicht einmal dem völkerrechtlich verbindlichen SRÜ beigetreten, viele andere Staaten verstoßen wie die EU insgesamt immer wieder dagegen, da Sanktionen nicht vorgesehen sind und ihnen die kurzfristigen Interessen der nationalen Fischwirtschaft wichtiger sind als die Bewahrung auskömmlicher Fischbestände.
Schauen wir auf die Zahlen. Nachdem sich die weltweit angelandeten Mengen zwischen 1950 und 1990 von etwa 20 Mio. to auf gut 80 Mio. to vervierfacht hatten, ist die Gesamtmenge gefangener freilebender Fische seither nahezu konstant geblieben. Hinzu kommen laut WWF geschätzt mindestens 20 Mio. Tonnen aus illegaler Fischerei. Aus der Aquakultur, in der vor allem Muscheln, Garnelen, Lachs und Forellen gezogen werden und die sich erst seit 1970 auf starkem Wachstumskurs befindet, kommt aktuell noch einmal etwa die gleiche Menge dazu, so dass der durchschnittliche Fischkonsum weltweit etwa 21 kg pro Kopf beträgt, etwa das Doppelte der Menge, die die Weltgesundheitsorganisation wegen diverser Schadstoffbelastungen (z.B. Mikroplastik) empfiehlt. Dabei gibt es erhebliche Differenzen zwischen verschiedenen Ländern. So isst z.B. eine SchweizerIn jährlich etwa 9 kg Fisch, eine ChinesIn dagegen knapp 30 kg. Dennoch: Insgesamt ist die Kapazität der weltweiten Fischereiflotten weit überdimensioniert, wenn man nur das betrachtet, was den Menschen gesundheitlich zuträglich ist.
Unter ökologischen Gesichtspunkten ist die Lage noch schlimmer. Weltweit gelten gut 30% der Bestände als überfischt, in bestimmten Meere wie dem Mittelmeer oder dem Schwarzen Meer sind es über 60%. Mehr als 60% der weltweiten Bestände gelten als maximal genutzt, so dass nur genauso viel Fisch nachwächst wie entnommen wird und weiteres Steigerungspotential z.B. für die wachsende Weltbevölkerung nicht mehr gegeben ist. Im Durchschnitt gingen die Fischbestände seit 1970 um etwa 50% zurück, bei besonders betroffenen Arten wie Makrele und Thunfisch sogar um über 70%.
Ein zusätzliches Problem bildet der sog. Beifang. Außer den Zielfischen, die auf den Markt gebracht werden können, gehen den Fischern zum Teil erhebliche Mengen an Fischen in die Netze, die nicht zum Verzehr geeignet sind wie z.B. Wale, Delfine und Tümmler oder die zu klein sind, um verkauft zu werden. Beim Fang von Plattfischen wie Seezunge und Scholle oder von Scampi sind es vor allem Krebse, Seesterne, Muscheln und Jungfische, die verenden und ins Meer zurückgeworfen werden. So fallen für eine einzige 300 g-Portion Seezunge etwa 1,8 kg Beifang an, für eine Portion Scampi etwa 1,5 kg und für eine Portion Scholle immerhin noch weitere 300 g. Beim Fang auf Seezunge werden sogar gut verzehrbare aber niedrigpreisige Schollen, die im gleichen bodennahen Bereich leben, als unerwünschter Beifang zurückgeworfen, und zwar in einem schier unglaublichen Mengenverhältnis von 6-10 kg pro 1 kg Seezunge.
Dabei wird eine Vielzahl der Probleme durch den industriellen Charakter der heutigen Fischerei hervorgerufen. Immer größere Schiffe, immer „brutalere“ Fangmethoden. Beim Fang von Schwarmfischen wie Heringen fällt so gut wie kein Beifang an, weil sie gezielt in geringen Meerestiefen mit Schleppnetzen gefangen werden. Plattfische und Scampi dagegen werden mit Grundschleppnetzen gefischt, die umstandslos alles abfischen, was am Meeresgrund lebt. Besonders problematisch sind die sogenannten Baumkurren-Schleppnetze. Hier werden schwere Ketten über den Meeresboden gezogen, die Schollen und andere Plattfische aufscheuchen. Dadurch werden unzählige Jungfische und andere Meerestiere vernichtet. Auch zu kleine und rautenförmige Netzmaschen erhöhen den Beifang und führen dazu, dass nicht verkäufliche Jungtiere gefangen werden, bevor sie sich haben vermehren können.
Zudem wird insbesondere rund um Afrika von europäischen und russischen „Fischfabriken“ immer wieder in Fanggründen gewildert, die afrikanische Hoheitsgebiete sind, teilweise sogar auf der rechtlich abgesicherten Grundlage sog. bilateraler Fischereiabkommen, die z.B. die EU mit afrikanischen Staaten abgeschlossen hat. Auf der Internet-Seite des Europäischen Parlaments heißt es dazu: Ziel sei es, dass „überschüssige Bestände der zulässigen Fangmenge in einem gesetzlich geregelten Umfeld nachhaltig gefangen werden können. Die Abkommen sollten für die EU und das betreffende Drittland von gegenseitigem Nutzen sein. Daher leistet die EU im Austausch gegen Fischereirechte finanzielle Beiträge an ihre SFPA-Partner.“ Aus meiner Sicht ist das, ähnlich wie wir es aus der Landwirtschaftspolitik kennen, eine neue Form des Wirtschaftsimperialismus, mit dem die herrschende Eliten der Entwicklungsländer finanziell ruhiggestellt, aber gleichzeitig Existenzen in der kleinräumigen nationalen Küstenfischerei zerstört werden. Das ist nicht nur ökologisch katastrophal, sondern auch einer der Gründe für die Armutsmigration von Afrika nach Europa.
Auch in der Fischerei ist das nahezu schrankenlose Größenwachstum der Schiffe wie der Wirtschaftseinheiten eines der Grundübel einer Wirtschaftsweise, die sich stetig von einem verträglichen menschlichen Maß entfernt und in der nur noch kurzfristiges Wachstum und schneller Profit als Zielgrößen Beachtung finden. Zwar gibt es Vereinbarungen zu internationale verbindlichen Fangquoten, die die Bestände sichern sollen, deren Kontrolle jedoch ziemlich lückenhaft ist, zumal die Nationalstaaten sich nicht selten als verlängerter Arm der jeweiligen nationalen Fischwirtschaft begreifen, die sich mit kleinräumiger Küstenfischerei nicht mehr zufrieden gibt.
Nachhaltige Fischerei bedeutet nicht weniger als eine Umkehr dieser Entwicklung. Zwar gibt es technologische Konzepte z.B. den Einsatz intelligenter Fangmethoden, die Beifang reduzieren und Jungfischen das rechtzeitige Entkommen aus den Netzen ermöglichen. Der flächendeckende Einsatz dieser Techniken müsste aber ebenso wie die Einhaltung der vorgegebenen Quoten engmaschig kontrolliert werden. Diesbezügliche soziale Kontrolle setzt Kleinräumigkeit und Nähe voraus, die immer weniger gegeben ist. Und das Völkerrecht ist ein eher zahnloser Tiger, weil es die Nationalstaaten und Staatengemeinschaften selbst sind, die zwar die Verträge abschließen, aber sich nur nach Gutdünken daran halten. Ob also Politik der geeignete Akteur zum Umsteuern der Fischerei ist, muss nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte bezweifelt werden. Sowohl im nationalen Rahmen (EU) als erst recht international hat diese Politik bisher nicht viele Erfolge vorzuweisen.
Nun könnte man meinen, die Zurückdrängung der Meeresfischerei insgesamt und der Umstieg auf Aquakulturen sei ein möglicher Weg zu einer nachhaltigen
Fischwirtschaft. Allerdings sind auch hier erhebliche Zweifel angebracht. Denn heutige Aquakultur ist überwiegend Massentierhaltung unter Wasser, mit all den Problemen, die auch Massentierhaltung an Land mit
sich bringt. Zerstörung küstennaher natürlicher Lebensräume, Einsatz von problematischen Futtermitteln, Medikamenten und anderen chemischen Erzeugnissen. Das hat dazu geführt, dass aus
gesundheitlichen Gründen vom Verzehr konventionellen Zuchtlachses abgeraten wird. Zuchtlachs, heißt es, ist eines der giftigsten Lebensmittel, die es auf der Welt gibt.
Allerdings gibt es auch nachhaltige Aquakultur, die z.B. mit den bekannten Umweltzeichen von Bioland oder Naturland vermarktet wird. Aus Sicht der Verbraucher wird hier ein Weg aufgezeigt, der dabei helfen kann, dass auch in der Fischwirtschaft in größerem Umfang auf Nachhaltigkeit Wert gelegt wird. Ähnliche Siegel wie z.B. das MSC-Siegel gibt es für die Meeresfischerei. Fisch, der unter diesem Zeichen verkauft wird, stammt aus nachhaltiger Fischerei, die folgenden Kriterien Rechnung trägt: Der Fischbestand hat eine "gesunde" Größe. Das Meer als Lebensraum wird geschont. Es gibt ein wirksames Fischereimanagement. Diese Kriterien werden unabhängig geprüft und ihre Einhaltung sichergestellt. Fisch mit MSC-Siegel ist teurer als „konventionell“ gefangener. Aber es sollte ja der Gesundheit wegen durchaus etwas weniger sein.
Wieder einmal, so mag es scheinen, wird hiermit allein dem Verbraucher die Aufgabe zugeschoben, durch sein Kaufverhalten die Welt zu retten. Ja, der Verbraucher kann und muss seinen Beitrag leisten. Aber man darf die anderen Beteiligten nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, denn sie sind im Zweifel handlungswirksamer.
Die Politik muss Ernst machen und den Sonntagsreden Taten folgen lassen: Wissenschaftlich begründete Fangquoten und -techniken müssen eingeführt und durchgesetzt werden. Schädliche Subventionen beim Schiffbau und Sprit müssen eingestellt und in die Förderung nachhaltiger Strukturen umgewidmet werden. Fischerei-Imperialismus im der dritten Welt muss beendet werden, damit einträgliche küstennahe regionale Fischerei wieder möglich wird.
Und die Fischer selbst? Sie müssen erkennen, dass sie sich durch die (Über-)Fischerei, wie sie sich seit dem zweiten Weltkrieg entwickelt hat, selbst den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Leergefischte Meere bedeuten heute schon erheblichen wirtschaftlichen Mehraufwand für immer geringere Fangmengen und letztlich das Ende der Fischerei. Vergiftete Lachse oder Scampi aus Aquakultur lassen sich nicht dauerhaft verkaufen. Wie hieß einer der Sprüche der frühen Umweltbewegung: „Wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Ob diese Einsicht Platz greift, bevor es zu spät ist?