Heute jähren sich die Bemühungen der deutschen Bundes- und der Länderregierung(en), mit diversen Lockdowns die Corona-Pandemie einzudämmen und wirksame Maßnahmen zum Schutz besonders vulnerabler gesellschaftlicher Gruppen zu ergreifen. Mit sehr mäßigen Erfolgen. Deutschland steht damit allerdings nicht allein. In einigen Ländern sind die Erfolge noch übersichtlicher, obwohl es eine Reihe probater und andernorts sehr wirksamer Gegenmaßnahmen gibt, wie es z.B. einige asiatische Länder beweisen. Diese Bestandsaufnahme lässt allerdings auch Schlimmes befürchten in Bezug auf die Erfolgsaussichten des Schutzes vor Klimawandel und Naturzerstörung, die eine mindestens ebenso große Bedrohung für Deutschland und die Welt darstellen wie die aktuelle Pandemie.
Als Corona Ende 2019 in China ausbrach, war die Welt alles andere als gewappnet. Schutz- und Gegenmaßnahmen mussten aus dem Boden gestampft werden. Parallel dazu gefielt sich die Politik im Herunterspielen: "Nicht gefährlicher als eine normale Grippe“, ließ der deutsche Gesundheitsminister verlauten. Erst als in Bergamo hunderte Opfer zu beklagen waren, folgte die Politik weitgehend den Vorschlägen von Epidemiologen und Virologen und setzte ab 23. März 2020 den ersten umfänglichen Lockdown durch: Herunterfahren des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Und die Bevölkerung hielt sich überwiegend an die Vorgaben. Unternehmen wurden bis auf Ausnahmen zugemacht, Autobahnen, Flughäfen, Hotels, Kneipen und Geschäfte blieben leer. Konsequenz: Kranken- und Sterbezahlen blieben auf niedrigem Niveau, Deutschland bewältigte die erste Welle im internationalen Vergleich sehr gut.
Doch auch in dieser frühen Phase offenbarte sich, dass vieles, was an Vorsorge gegen den Rat der Experten versäumt worden war, nur mühsam aufgeholt werden konnte. Bei der Beschaffung von Schutzkleidung, Masken, Testkits, beim Schutz von Alten- und Pflegeheimen und anderen Abwehrmaßnahmen gab es erhebliche Verzögerungen. So hieß es z.B. einfach: „Masken schützen eh‘ nicht“.
Dann half der Lauf der Natur: Der Sommer drängte das Virus zurück. Die Politik sonnte sich in ihren Erfolgen. Wirksame Vorsorgemaßnahmen gegen das vorhersehbare erneute Aufflammen der Pandemie wie z.B. Lüftungsgeräte und PC-Ausstattung für Schulen wurden unterlassen. Pläne für intelligente Schutzvorkehrungen z.B. in Läden und öffentlichen Verkehrsmitteln wurden nicht getroffen. Forderungen nach einer verlässlichen Strategie wurden mit dem Hinweis auf die Unvorhersehbarkeit der Entwicklung zurückgewiesen. Stattdessen ließen sich die Regierungen von Bund und Ländern vom Parlament ermächtigen, die weiteren eventuell notwendigen Corona-Schutzmaßnahmen ohne parlamentarische Beteiligung umzusetzen.
Aber auch die Zivilgesellschaft bekleckerte sich nicht mit Ruhm. Diejenigen, die sich berechtigte Sorgen machten um Demokratie und bürgerliche Freiheitsrechte, versäumten es, sich von Coronaleugnern, „Querdenkern“ und Reichsbürgern zu distanzieren. Rest-Deutschland ging in den Sommerurlaub, als wäre nichts geschehen.
Dann geschah das Erwartbare: Vor allem Urlaubsrückkehrer aus Italien, Spanien und anderen Sonnenländern brachten das Virus und Mutanten mit nach Hause und initiierten die zweite Welle. Es folgten halbherzige Teil-Lockdowns, garniert mit Versprechungen für ein „normales“ Weihnachtsfest und anderen nicht haltbaren Aussichtsphantasien bezüglich der Testmöglichkeiten und bevorstehenden Impfungen. Die vollkommen richtige Überantwortung der Impfstoffbeschaffung an die EU wurde so dilettantisch umgesetzt, dass inzwischen auch Länder wie Chile und die Vereinigten Arabischen Emirate deutlich mehr Bevölkerungsanteile geimpft haben als Deutschland. Die Pharmakonzerne, mit vielen Millionen Staatshilfen bei der Impfstoffentwicklung gesponsert, liefern vor allem an Zahlungswillige oder eben nicht. Die staatlichen Impfprioritäten werden streng bürokratisch umgesetzt, in jedem Bundesland irgendwie anders. Solidarität mit Entwicklungsländern, gar internationale Aussetzung des Patentschutzes sind nicht erkennbar.
Und wir Bürgerinnen und Bürger? Die meistens sind es leid, immer wieder mit kaum je inhaltlich begründeten Auflagen der Politik konfrontiert zu werden. Die Familien leiden unter Homeoffice, Homeschooling, heute geöffneten, morgen wieder geschlossenen Schulen und Kitas, Verbot von Sport und Kultur. Vereinsamung und häusliche Gewalt nehmen stark zu. Die Schulen werden teilgeöffnet, aber zusätzliche Schulbusse werden nicht eingesetzt. Insbesondere die kleinen Händler, Gastwirte und Kulturschaffende verstehen nicht, warum sie geschlossen bleiben, während in großen Supermärkten nicht einmal Einlassbegrenzungen durchgesetzt werden. Friseure und Tattoostudios dürfen öffnen. Immerhin gibt es jetzt einen Stufenplan, bei welchen Verbreitungswerten der Pandemie welche Öffnungen zugelassen sind. Angesichts der anlaufenden dritten Welle ist dieser Plan jedoch vermutlich schon bald wieder Makulatur. Lockdown-Hin und Her ist die neue Strategie.
Also herrscht allenthalben Politikverdrossenheit. Die Bereitschaft der Menschen, sich an die politisch verordneten Einschränkungen zu halten, nimmt spürbar ab. Als bekannt wurde, dass Mallorca kein Corona-Krisengebiet mehr ist, titelte BILD „Malle für alle“ und die Flug- und Hotel-Buchungen gingen steil in die Höhe. Das RKI rechnet nach Ostern mit 7-Tage-Inzidenzwerten über 350.
Das Thema dieses Blog ist eigentlich nicht Corona, obwohl inzwischen eine ganze Reihe der Texte auch von Corona handeln. Aber die Erfahrungen mit der politischen Handhabung der Pandemie und auch der zivilgesellschaftliche Umgang mit dem Virus lassen mich zunehmend zweifeln, ob es uns wirklich gelingen wird, unser Leben und unsere Wirtschaft auf den Nachhaltigkeitspfad zu bringen. Zumal Corona eine für jeden Menschen spürbare Bedrohung darstellt, die nur Ignoranten leugnen können. Der Klimawandel und die Naturzerstörungen dagegen spüren wir Europäer noch nicht existenziell. Wie soll es dann gelingen, rechtzeitig und wirksam diesen Gefahren zu begegnen, die ebenfalls spürbare politische Einschnitte und eigenverantwortliche Beschränkungen persönlicher Bequemlichkeiten notwendig machen? Vorsorgender Klimaschutz und Naturzerstörungsabwehr verharren auf dem gleichen niedrigen Niveau wie die Pandemie-Vorsorge.
Corona offenbart alle unsere Schwächen. Statt an der Sache zu arbeiten und intelligente Gegenmaßnahmen auf den Weg zu bringen, die uns ein pandemiegerechtes Leben ermöglichen, ohne uns alle paar Wochen neue und kaum nachvollziehbare Auflagen zu machen, die uns von vorn bis hinten gängeln, orientiert sich die Politik offenbar nur an Beliebtheits-, persönlichen Karriere- und Wiederwahlgesichtspunkten. Auch deshalb gibt es nach den positiven Erfahrungen im ersten Lockdown (die mich anfangs zuversichtlich gestimmt hatten) immer weniger Bereitschaft des/der Einzelnen, sich selbst und seine Mitbürger*innen zu schützen, eigenverantwortlich einen Beitrag zu leisten, um Infektionen zu vermeiden, Kontakte zu reduzieren und Masken über Mund und Nase zu tragen statt am Kinn.
Wenn wir nachhaltig wirtschaften und leben wollen, können wir auch das nur erreichen, wenn Politik und Bürger ihre Verantwortung wahrnehmen und umsetzen: Vorausschauend Bedingungen schaffen und Anreize setzen die einen, ernsthaft die eigenen Verhaltensweisen zu hinterfragen und zu ändern die anderen. Prinzipiell geht das, davon bin ich nach wie vor überzeugt. Aber die skizzierten Corona-Erfahrungen schüren Zweifel. Kann es gelingen, dass wir uns in Richtung Klimaschutz und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht wieder so unentschlossen und unfähig zeigen?
In den Zielen zero covid und Bewahrung der menschlichen Lebensgrundlagen sind sich alle vernünftigen Menschen einig. Es geht „nur“ darum, diese Ziele zeitnah und konsequent zu verfolgen. Das aber wird wohl doch schwerer, als ich bisher dachte.