Immer noch billiger?

Sie unterbieten sich, wo immer sie können: Die großen Lebensmittelketten verkaufen Milch und Butter zu Preisen, die sie nur bieten können, wenn sie den Bauern so wenig bezahlen, dass diese nicht mehr von ihrer Arbeit leben können. Die Textilhändler bieten Jeans für 5 €, einen Preis, von dem die Näherinnen in Bangladesh fast nichts abbekommen. 14 Tage Flugurlaub in der Dominikanischen Republik ist billiger als an der deutschen Nordseeküste bei eigener Anreise und wird stark gebucht. In Deutschland hat sich eine Kultur des „Immer noch billiger“ etabliert. Was hat es damit auf sich? Sind es wirklich nur die Käuferinnen und Käufer, die mit ihrem vor allem auf billig zielenden Kaufverhalten die Anbieter vor sich her treiben und die mit dem Preisdumping verbundenen sozialen und ökologischen Schäden vollständig ausblenden? Und wie ginge es anders?

  

   Fragen wir zunächst einmal die ökonomische Theorie. Sie vereinfacht die Fragestellung, indem sie – zumindest in ihren Grundmodellen – von sog. homogenen Gütern ausgeht. Das sind Produkte, bei denen das Angebot des einen Herstellers dem des anderen bis aufs Haar gleicht. Unter dieser Voraussetzung (und nur unter dieser!) wird der Käufer (von dem die Theorie unterstellt, er sei ein homo oeconomicus (Hinweis auf des Menschen Wolf), ein Wirtschaftsmensch, der die Qualität der angebotenen Leistung genau beurteilen, hier aber aus Acht lassen kann, weil die Produkte völlig gleich sind) das Angebot wählen, das am wenigsten kostet. Umgekehrt wird der Anbieter den Preis für seine Leistung soweit senken, bis er durch weitere Preissenkung keinen zusätzlichen Gewinn mehr erwirtschaften kann. Seine Konkurrenten können nur mithalten, wenn sie in diesen Preis einsteigen. Ergebnis: Alle sind zufrieden, der eine kriegt seine Leistung für den günstigsten Preis, der andere maximiert seinen Gewinn.

 Tatsächlich sieht die wirkliche Welt deutlich anders aus:

 1.    Nicht einmal Kochsalz ist gleich Kochsalz: Es gibt keine homogenen Güter, im Gegenteil: In den meisten Fällen tun die Anbieter alles, um ihre Produkte und Leistungen von denen der Konkurrenz zu unterscheiden, sei es durch ein besonderes Design oder auch nur dadurch, dass sie ihm z. B. durch die Werbung eine besondere Aura andichten. Manchmal allerdings gibt es zwischen auf den ersten Blick gleichen Produkten doch beträchtliche Qualitätsunterschiede.

 2.    Die Käufer, zumal wir Endverbraucher, sind keine Lehrbuch-Wirtschaftsmenschen. In vielen Fällen können wir zumindest vor dem Kauf Qualitätsunterschiede kaum oder gar nicht ermessen, weil die Hersteller uns stets nur mit positiven Botschaften über die Produkte versorgen. Wir wissen nicht, ob Preisunterschiede durch Lohndrückerei und Öko-Dumping, durch echte Qualitätsunterschiede oder eine geschicktere Gestaltung der Produktionsprozesse erzielt werden. Zudem kaufen wir vielfach gewohnheitsmäßig oder spontan, jedenfalls ohne groß nachzudenken und abzuwägen.

 3.    Konsumenten neigen deshalb nicht selten dazu, den geforderten Preis als Anhaltspunkt für die zu erwartende Qualität zu nehmen: teurer gilt als besser. Oft stimmt das aber gar nicht. Preise werden vor allem danach festgelegt, was Kunden in einer bestimmten Situation voraussichtlich zu zahlen bereit sind.

 4.    Nicht einmal die Herstellkosten spielen dabei eine Rolle. So rufen z.B. beim Online-Kauf automatisierte Algorithmen für identische Produkte (z.B. ein bestimmtes Handy oder Bahnticket) unterschiedliche Preise auf, je nach dem Tag oder der Tageszeit, wo der Kauf abgewickelt wird. Das gilt auch z.B. für Benzinpreise an Tankstellen und ähnelt mehr einem Casino als einer fairen Transaktion, die Kosten und Nutzen zum Ausgleich bringt. Dumm gelaufen, wenn man zur teuersten Zeit kauft.

 5.    Die meisten Anbieter haben nicht nur ein Produkt, sondern erbringen ein Gesamtangebot an vielfältigen Produkten und Leistungen, möchten ihre Kunden an sich binden und insgesamt als besonders preisgünstige Anbieter gelten. Dazu verkaufen sie einzelne Signal-Produkte sehr billig. So z.B. Lebensmittelhändler Milch und Butter, Textilhändler T-shirts und Pullis. Andere Produkte aus dem Sortiment sind dann vielleicht sogar teurer als bei der Konkurrenz, was der umworbene Kunde oft gar nicht merkt oder wenig beachtet. Im Fachjargon heißt das „kalkulatorischer Ausgleich“.

   So werden die Konsumenten regelrecht auf billig konditioniert. Sie nehmen sich den homo oeconomicus (Näheres in meinem Buch "Das Märchen vom gerechten Markt") aus dem Lehrbuch zum Vorbild, der niemals mehr zahlt als unbedingt nötig. Schnäppchen machen ist cool und Geiz ist geil. Das führt dazu, dass sie auszublenden, dass billige Produkte oft minderwertig sind und nur durch die Ausbeutung von Menschen entlang der Lieferkette oder durch schädigende Natureingriffe erzielt werden. Über diese Informationen verfügen sie zumeist auch gar nicht. Denn der Preis eines Produkts oder einer Leistung ist oft das einzige, worüber die Kaufinteressierten verlässlich Bescheid wissen.

   Vor die Wahl gestellt, mehr oder weniger Geld auf den Tisch zu legen, wählen wir also weniger und fühlen uns dabei wie der clevere Kaufmann, der seinen Gewinn dadurch steigert, dass er seinen Lieferanten möglichst wenig zahlt. Jede/r von uns, natürlich auch ich selbst, ertappt sich immer mal wieder dabei, dass sie/er einen geforderten Preis z.B. für ein Öko-Produkt für zu hoch hält, dabei fürchtet, abgezockt zu werden und deshalb zum billigeren Angebot greift.

   Aber wir können auch teuer. Wer sich z.B. ein Eigenheim baut, versucht oft, bei der Heizung oder anderer technischer Ausstattung zu sparen. Die Dämmung und die sparsame Heizung müssen sich „rechnen“. Für die schicke Eingangstür oder den offenen Kamin im Wohnzimmer darf’s dann aber ruhig etwas mehr sein. Das macht schließlich Eindruck auf Nachbarn und Freunde. „Demonstrativer Konsum“ nennen das die Experten. Dann darf es z.B. auch die Solaranlage auf dem Dach oder das Elektro-Stadtauto sein. Man zahlt einen hohen Preis oder spendet eine stattliche Summe auch gern des guten Gefühls wegen, das man dabei empfindet. Konsumentscheidungen sind also ziemlich komplex. Oft, jedoch keineswegs durchweg gibt der Preis den Ausschlag.

    Hauptsache billig aber führt zu erheblichen Kollateralschäden. Auskömmlich bezahlte Arbeitsplätze hierzulande fallen weg, weil die Löhne anderswo geringer und die Menschen leidensbereiter sind. Anspruchsvoller unternehmerischer Umweltschutz kostet Geld. Wenn er anderswo vermieden werden kann, prima. Und wenn der spanische Tomaten- oder Paprika-Plantagenbesitzer die niedrigen Preise nur erreichen kann, wenn er Geflüchtete illegal beschäftigt und mies bezahlt und wenn er die enormen Wassermengen aus ungenehmigten Brunnen schöpft, wen interessiert das schon bei uns? Die globalen Lieferketten, die möglichst auch unter Pandemiebedingungen nicht abreißen dürfen, weil jedes Obst und Gemüse bei uns ganzjährig im Laden liegen muss, sind nicht selten Ketten der Ausbeutung von Mensch und Natur.

    Es geht auch anders: Wir können die Billigspirale brechen. Die deutschen Landwirte, die die Läger der großen Lebensmittelketten mit ihren Traktoren blockieren, weisen den Weg. Naturschützer und Bauern, die in Berlin auf ihrer jährlichen Demonstration zur „Grünen Woche“ für eine regionale, naturverträgliche Lebensmittelproduktion eintreten, weisen den Weg. Die Organisationen, die für einen fairen internationalen Handel zu auskömmlichen Preisen für die Produzenten von Kaffee, Kakao, Textilien und andere Konsumgüter eintreten und dies z.B. mit dem Fair-trade-Siegel für die Konsumenten verlässlich sichtbar machen, weisen den Weg. Und wir Konsumenten, die wir wissen, dass ein Brathähnchen nicht für 2,50€ ordentlich gehalten und gefüttert werden kann, und dass 1 Kg Rindfleisch für 10€ der blanke Hohn für das Vieh, den Bauern und das Klima darstellen, können einfach solche Billigprodukte nicht mehr kaufen und stattdessen zum gleichen Preis öfter mal vegetarisch essen, was regional und saisonal wächst und das Klima schont. Das geht auch mit geringem Einkommen.

    Jede/r von uns möchte selbst angemessen bezahlt werden und von seinem Einkommen auskömmlich leben können. Dafür können und müssen wir immer wieder gemeinsam kämpfen. Gönnen wir das bitte auch allen anderen auf dieser Welt, indem wir fair gehandelte Produkte kaufen! Und wenn’s das Budget nicht hergibt, einfach etwas weniger davon. Und fördern wir naturverträgliche Produktionsbedingungen, indem wir darauf achten, dass z.B. unser Fisch das MSC-Siegel trägt, das Holz und Papier das FSC-Siegel und das T-shirt den grünen Knopf oder ein anspruchsvolleres Kennzeichen.

    Vor allem aber sind die Unternehmen gefragt, z.B. die Handelsunternehmen, die uns Produkte aus aller Welt verkaufen. Sie können sich nicht mit dem Hinweis auf die vermeintlich geizigen Kunden aus der Verantwortung stehlen. Sie sind die „Gatekeeper“, die die Pforten kontrollieren, durch die die Produkte zu uns kommen. Sie sind verantwortlich, was sie zu welchen Bedingungen durchlassen. Sie können auch mit der Qualität der Produkte im Konkurrenzkampf bestehen, wenn sie diese mit verlässlichen neutralen Qualitätssiegeln wie der Nährwert-Ampel bei Lebensmitteln oder dem Fair-Trade-Siegel versehen. Als Außenstehender fragt man sich schon, was z.B. die Chefs von C&A, KIK und anderen Textilketten empfinden, wenn wieder mal eine Näherei in Bangladesch abgebrannt ist, bei der sie Dumpingpreise durchgesetzt haben, und hunderte Näherinnen dabei ums Leben gekommen sind.

    Nicht zuletzt ist die nationale und internationale Politik gefragt, die ja für sich in Anspruch nimmt, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft festzulegen. Hier darf es nicht Freihandel um jeden Preis sein, wenn dieser Preis die Schädigung von Mensch und Natur beinhaltet  . Dumping-Preise zu Lasten der sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen lassen sich politisch verhindern. Politik muss nur wollen und nicht den Einflüsterungen der Lobby und der neoliberalen Ökonomik auf den Leim gehen, die den Wegfall möglichst jeder Regulierung predigen.

   Nachhaltig wirtschaften und leben kann uns gelingen, wenn wir alle uns von „Geiz ist geil“ dauerhaft verabschieden. Wenn wir der Ausbeutung von Mensch und Natur den Rücken kehren. Wenn wir zurückfinden zu einem auskömmlichen Leben für alle, das die Bereitschaft enthält, sich zu bescheiden mit dem, was die Erde für uns bereit hält, ohne dass wir dafür Raubbau am Leben anderer und an der Natur betreiben.