Kompensieren statt Verhalten ändern?

 

 

Auf Empfehlung meines Sohnes las ich dieser Tage in der TAZ einen Beitrag des Mannheimer Philosophieprofessors Bernward Gesang mit dem Titel „Auto kaufen und für den Regenwald spenden: auch eine Strategie“.

 

Die zentrale These des Autors: Lasst die Forderung nach einer grundlegenden Veränderung unseres Lebens- und Wirtschaftsstils fallen, sie ist eh‘ nicht einlösbar. Fahrt ruhig weiter SUVs und kompensiert stattdessen per Atmosfair euer umweltschädliches Verhalten. Das ist billiger und daher sinnvoller. Das animiert mich zu einer Stellungnahme.

 

 

   Die Fakten sind unbestreitbar. Aktuell konsumiert ein Bewohner eines westlichen Industrielandes zwischen 8 und 12 to CO2 im Jahr. Das wird nur noch übertroffen von den Einwohnern einiger erdölproduzierender Länder, unter denen der Spitzenreiter Katar auf über 30 to pro Kopf kommt. Ein Bewohner eines Entwicklungslandes verbraucht dagegen zum Teil deutlich weniger als 2 to. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 4,8 to, Tendenz steigend, wenn auch nicht mehr ganz so schnell wie in Vor-Corona-Zeiten. Um den Klimawandel zu stoppen, dürfen nach einer Studie des IPCC von 2018 weltweit insgesamt nicht mehr als etwa 420 Gigatonnen emittiert werden, gerechnet ab Ende 2017, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht zu verfehlen. Da die Welt aktuell jedoch jedes Jahr ca. 40 Gigatonnen an CO2 in die Atmosphäre abgibt, wird dieses Budget in etwa 7 Jahren aufgebraucht sein. Lassen wir eine Temperatursteigerung von 2 Grad zu, dann erhöht sich das Budget auf ca. 1170 Gigatonnen und es bleiben noch 25 Jahre Zeit bis zur Nullemission. Nur wenn bis dahin nicht einer der berüchtigten Kipppunkte überschritten ist, die uns das Heft des Handelns aus der Hand nehmen, könnten wir das Pariser Klimaziel erreichen.

   Angesichts dieser Situation ist es nicht länger aufschiebbar, die Emissionen von CO2 und seiner wesentlich schlimmeren „Kollegen“ wie etwa Methan und Lachgas weltweit massiv zu reduzieren und ansonsten so viel wie möglich zu tun, um die Absorption der Klimagase z.B. durch das Anpflanzen von Bäumen und die klimatechnisch viel bedeutsamere Renaturierung von Mooren zu fördern und so Druck aus dem Kessel zu nehmen. Wo aber können wir ansetzen?

  Hier argumentiert Bernward Gesang im Einklang mit der herrschenden ökonomischen Theorie: dort wo es am billigsten ist. Und das heißt in den Entwicklungsländern, die oft dreckige Technologien einsetzen, bei denen Reduzierungen daher preisgünstig zu machen sind und die viel Fläche für Wälder und Moore zur Verfügung haben. Damit macht er wie üblich in der Mainstreamökonomie den Bock zum Gärtner. Wieder ist es das Geld, an dem sich das Handeln vermeintlich vernünftigerweise orientiert. Er geht sogar noch weiter. Er bewertet den Nutzen, den wir vom Auto haben, wie ein Kaufmann in Geld: Wir sind bereit, uns für 30.000 € ein Auto zu kaufen und es nach 75.000 km Fahrleistung zu verschrotten, was Emissionen von 20 to CO2 verursacht. Wenn wir darauf um des Klimaschutzes willen verzichten würden, würde unser Nutzen um 30.000 € schrumpfen. Bei Atmosfair kostet die Kompensation von 20 to dagegen nur ca. 460 €! Wer wäre so blöd, da nicht zu kompensieren und schön weiter SUV zu fahren? Die bequeme Art des Klimaschutzes wäre 65mal effizienter und würde nur eine kleine Einbuße im Geldbeutel bedeuten.

  Diese Denkweise folgt nicht nur der herrschenden Ökonomik, sondern auch den internationalen Klimaverträgen. Im Rahmen des 1997 im Kyoto-Protokoll verabschiedeten Vertrages können Industrieländer ihre eigenen Emissionsreduktionsziele auch dadurch erreichen, dass sie auf dem Wege des Clean Development Mechanism (CDM) Einsparungen in Entwicklungs- und Schwellenländern finanzieren, die ohne diese Finanzierung nicht stattgefunden hätten. Im eigenen Land können sie stattdessen weitermachen wie bisher. Nutznießer dieses Vertrages sind natürlich die Industrieländer, auf der Nehmerseite allerdings überwiegend Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien, die durchaus die Wirtschaftskraft haben, selbst mehr für den Umweltschutz zu tun und ihre dreckigen Technologien aus eigener Kraft zu erneuern. Mal abgesehen davon, dass ein solches Projekt nur Sinn macht, wenn auf diesem Wege zusätzliche Emissionseinsparungen tatsächlich realisiert werden (was oft nicht zutrifft), ist es vor allem problematisch, dass die finanzierenden Industrieländer in ihrer Haltung bestärkt werden, dass sie eigene Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels ruhig unterlassen können. Und die Gastländer brauchen gar nicht mehr zu tun, sondern können sich als willige Nehmer der finanziellen Hilfen ausruhen. Außerdem schwingen die alten Imperialisten sich wieder mal zu alter Herrschaft über die Welt auf, indem sie - diesmal vermittelt durch Geld - den Entwicklungsländern Aktivitäten oktroyieren, die wir bei uns nicht unternehmen wollen: Imperialismus 4.0.

  Für den einzelnen SUV-Fahrer kommt hinzu, dass er mit den Kompensationszahlungen keine echte Emissionsvermeidung unterstützt, sondern z.B. Aufforstungen des Regenwalds. Das klingt gut, ist aber nicht nur deshalb ein Tropfen auf den heißen Stein, weil Ignoranten wie der brasilianische Staatschef Bolsonaro dies zum Anlass nehmen, dafür an anderer Stelle umso kräftiger abzuholzen. Da 1 ha Wald im Durchschnitt jährlich etwa 10 to CO2 bindet, müssten, um nur 1 Gigatonne CO2 (das sind 1 Milliarde Tonnen und ca. 2,5% der weltweiten jährlichen CO2-Emissionen) pro Jahr einzusparen, 1.00.000.000 ha oder 1 Mio. km2 Wald angepflanzt und dauerhaft erhalten werden. Die gesamte Waldfläche der Erde beträgt allerdings „nur“ etwa 18 Mio. km2 und reicht auch so bei Weitem nicht aus, um den Klimawandel zu stoppen. Die klimatechnisch wesentlich wirksamere Renaturierung von Mooren sollte auch eher dort stattfinden, wo in der Vergangenheit bereits über 90% der ehemaligen Moore trockengelegt und als Torf verbrannt oder im Gartenbau genutzt worden sind und werden, bei uns in der sog. ersten Welt.

  Die Kompensation von CO2 Emissionen durch Zahlungen für Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle ist allenfalls dann sinnvoll, wenn diese Emissionen wirklich aktuell unvermeidbar sind und die Länder, in denen die so finanzierten Projekte umgesetzt werden, dies auch wirklich von sich aus wollen, aber nicht finanzieren können. Ansonsten sollten wir in den armen Ländern lieber kleinteilige Klimaschutz-Investitionen in angepasste Technologien wie Solaröfen zur Substitution von Holzbrand finanzieren.

  Was also kann die/der SUV-Fahrer*in sinnvollerweise tun? Sie/er könnte erst einmal das Auto länger als 75.000 km fahren, also vielleicht 150.000 oder 200.000 km. Das schaffen heutige Fahrzeuge leicht und weil dann nicht alle 3 Jahre ein neues Auto gekauft wird, sondern vielleicht alle 8 Jahre, reduzieren sich die Emissionen bei der Autoproduktion auf weniger als die Hälfte. Das dann schrottreife Auto sollte nicht nach Osteuropa exportiert, sondern daheim stofflich recycelt werden, um der Idee einer Kreislaufwirtschaft etwas näher zu kommen. Auch dafür kann man als Letztbesitzer*in selbst sorgen.

  Solange man das Auto nutzt, könnte man nicht mit 180 km/h über die Autobahn brettern, denn das braucht locker mehr als 12 l pro 100 km, sondern mit 120 km/h, auf Landstraßen gern auch mal 80 km/h und in Ortschaften 30 km/h. Das schont die eigenen Nerven und die der Mitbürger, vermeidet Unfälle und führt zu einem Verbrauch von 6 l pro 100km, wiederum eine Halbierung der CO2 Emissionen. Wenn dann ein neues Auto nicht mehr zu vermeiden ist, könnte man statt eines SUV ein leichteres und kleineres kaufen, vielleicht sogar Gas- oder Strom-betrieben und nicht etwa ein Hybrid-Auto, das im Alltagsbetrieb schlimmere Emissionswerte hat als ein reiner Verbrenner. Zum Bäcker, zum Bioladen oder ins Schwimmbad geht‘s gern auch mal mit dem Fahrrad oder zu Fuß mit nahezu 0 Emissionen.

  Natürlich, da gebe ich Herrn Gesang ausdrücklich Recht, sind unsere Handlungsmöglichkeiten als einzelne Bürger*innen begrenzt. Deutlich wirksamer wäre es, durch politisches Handeln die richtigen Weichen für mehr wirksamen Klimaschutz zu stellen, also z.B. die Stromerzeugung schneller zu decarbonisieren, Klimaschutz in Bestandsgebäuden massiv zu fördern und anstatt TUI und Lufthansa massiv zu stützen, endlich in ein klimaschonendes Verkehrssystem zu investieren. Leider sind die politischen Kräfte, die den Mut aufbringen würden, auch auf diesem Gebiet dem Rat der einschlägigen Wissenschaftler zu folgen, für mich noch kaum auszumachen. Die aktuell aktive Politik scheint den Klimaschutz eher als Wahlhemmnis denn als Wahlargument zu sehen. Aber auch Politik ist gut beraten, erst mal vor der eigenen Haustür zu kehren und sich nicht durch internationale Verträge aus der Verantwortung zu stehlen.

  Also, da beißt die Maus keinen Faden ab: Wir haben die Malaise mit dem Klimawandel überwiegend verursacht und wir müssen sie auch wieder beseitigen, wenn wir die Erde für den Menschen als Lebensraum erhalten wollen. Da geht an spürbaren Verhaltens- und Politikänderungen kein Weg vorbei, wieviel Mühe und Geld die auch immer kosten. Sie könnten dann sogar beispielhaft sein für diejenigen Schwellenländer, die heute meinen, sie sollten um ihres Wohlstands willen unsere naturverschlingende Lebensweise nachahmen.

  Wer dann noch für die Erhaltung und Renaturierung der Wälder und Moore spendet, prima! Wir Menschen rechnen uns doch gern zur Spezies Homo Sapiens. Sollten wir deshalb nicht die Weisheit besitzen, eigenes Fehlverhalten zu erkennen und statt weiter den Klimawandel zu befeuern endlich wirksamen Klimaschutz zu betreiben? Hier greift die zentrale umweltethische Aussage eines Kollegen des Autors, nämlich Hans Jonas‘, die lautet: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ (Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt am Main 1979, S. 36) Dem mag ich nichts mehr hinzufügen.