Im Beitrag der S4F-Kolleg*innen aus Münster (GEHORCHE KEINEM) wird für zivilen Ungehorsam angesichts der politischen Untätigkeit gegenüber dem
Klimawandel plädiert. Wo die demokratisch gewählten Politiker in Parlamenten und Regierungen versagen, wenn es gilt, schnell wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, sei es die Pflicht
der Bürger*innen, nicht nur dagegen zu demonstrieren, wie dies etwa die Fridays for Future Schüler*innen und Studierenden trotz Corona immer wieder tun, sondern gezielte Gesetzesbrüche zu
unternehmen, um den berechtigten Forderungen nach einer Bewahrung der menschlichen Lebensgrundlagen Nachdruck zu verleihen. Aber einmal abgesehen von der Tatsache, dass dies strafrechtliche
Konsequenzen haben kann und wird, was könnte das denn sein? Müssen da gleich Steine fliegen und Barrikaden brennen? Ich meine nein. Aber wie kann gewaltfreier Widerstand für Klimaschutz aussehen? Mir
sind da zwei Ideen gekommen, die ich an dieser Stelle zur Diskussion stellen möchte.
Ziviler Ungehorsam hat eine lange Tradition. Als einer der ersten Verfechter gilt der Amerikaner Henry David Thoreau (1817–1862). Er verweigerte aus Kritik an der Sklaverei die Zahlung von Steuern. Weitere Protagonisten sind Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Wie auch Thoreau haben sie nicht nur zivilen Ungehorsam in Reden und Schriften eingefordert, sondern auch selbst praktiziert.
In jüngerer Zeit hat der Philosoph Jürgen Habermas die folgende Definition formuliert: „Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.
Aus dieser Definition werden die wesentlichen Merkmale des zivilen politischen Ungehorsams deutlich. Seine moralische Begründung, die Verletzung von Rechtsnormen unter Anerkennung des Rechtssystems, das Einstehen zu den rechtlichen Folgen (z.B. Bestrafung) und die Gewaltfreiheit. Damit ist klar: Wer für zivilen Ungehorsam eintritt, will einer dringlichen politischen Forderung Nachdruck verleihen, ohne zugleich das gesamte Rechtssystem infrage zu stellen. Er/sie ist bereit, persönliche Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen und bekennt sich zur Gewaltfreiheit.
Nicht ganz unwichtig ist allerdings auch, dass der praktizierte zivile Ungehorsam öffentlichkeitswirksam wird. Dazu muss er von publizistischen Medien wahrgenommen und veröffentlicht werden. Einschlägige Aktionen z.B. der Umweltorganisation greenpeace (wie seinerzeit die massive Behinderung der Versenkung der Shell-Ölplattform „brent spar“) wurden nur dadurch wirksam und brachten Shell zum Einlenken, dass sie in allen Kanälen über die Bildschirme flimmerten. Heute ist natürlich auch eine Veröffentlichung in den sozialen Medien möglich und vielleicht sogar breitenwirksamer als in den klassischen Medien.
Von konservativer Seite wird den Vertreter*innen zivilen Ungehorsams allerdings antidemokratisches Verhalten und sogar fundamentale Systemkritik unterstellt. So schreibt z.B. ein Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung: "Offensichtlich bewegt sich das Selbstverständnis der sich zunehmend radikalisierenden Klimabewegung in Richtung eines radikaldemokratisch-jakobinischen Widerstands gegen ein durch die herrschende Eigentumsordnung gestütztes «kapitalistisches Unrechtssystem". Tatsächlich erweist sich in konkreten Aktionen wie z.B. dem Protest gegen die Finanzkrise und ihre Protagonisten durch die „Occupy Wallstreet“ Bewegung in 2011 die postulierte Gewaltfreiheit als kritischer Punkt, insbesondere dann, wenn die kritisierte und/oder von den Betroffenen herbeigerufene Staatsmacht ihrerseits mit den Aktivisten nicht gerade zimperlich umgeht. Dann ist eine Eskalation nicht ausgeschlossen, auch wenn die ursprünglichen Aktivitäten gewaltfrei angelegt waren.
Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist insbesondere die Gruppierung extinction rebellion mit zivilem Ungehorsam hervorgetreten. Sie besetzen vielbefahrene Straßenkreuzungen oder machen mit sog. Die-ins, auf denen sich Aktivisten tot stellen, und anderen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam. Trotz gezielter Regelverletzungen ist von gravierenden strafrechtlichen Verfolgungen nichts bekannt geworden.
Aber auch die Fridays For Future Bewegung setzt sich über Rechtsvorschriften wie z.B. die allgemeine Schulpflicht hinweg, wenn ihre Mitglieder freitags während der Schulzeit demonstrieren. Auch sie nehmen in Kauf, mit Verweisen und schulischen Nachteilen persönlich „bestraft“ zu werden. Dann mögen die eigentlichen Demonstrationen durchaus friedlich und unter Beachtung aller polizeilichen Vorgaben erfolgen.
Was aber könnte es noch geben an Aktionen zivilen Ungehorsams im Interesse des immer dringlicher werdenden Klimaschutzes?
Vorschlag 1:
In Anknüpfung an Henry David Thoreau könnten wir, die wir endlich wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen fordern, die Zahlung von Steuern verweigern, bis die so von uns alimentierte Politik ernsthafte Maßnahmen ergreift: „Steuerstreik“! Wir verweigern die Steuerzahlung und bekennen uns öffentlich dazu, erst wieder Steuern zu zahlen, wenn die Politik zu Potte kommt. Das geht ohne Gewalt, kann schnell öffentlich gemacht werden und zieht allenfalls Strafsteuern oder Verzugsgebühren nach sich. Damit uns die Steuernachforderung, zu der wir mit großer Wahrscheinlichkeit vom Finanzgericht verurteilt werden, nicht zu sehr trifft, geben wir das Geld vorsichtshalber nicht aus, sondern legen es auf einem gesonderten Konto fest.
Das ist für die meisten von uns aber nicht ganz einfach. Denn die meisten Steuern, die der Normalbürger zahlen muss, zahlt er gar nicht von sich aus, sondern sie werden ihm als sog. Quellensteuern ohne sein Zutun abgezogen. Zum Beispiel vom Lohn als Lohnsteuer oder von Zinsen und Dividenden als pauschale Kapitalertragssteuer. Oder sie fallen gleich als Verbrauchssteuern an, die auf den Kaufpreis von Waren und Leistungen aufgeschlagen und vom Verkäufer eingezogen und an den Staat abgeführt werden, z.B. die sog. Mehrwertsteuer, die Tabak- und Sektsteuer und was es da sonst noch gibt. Nur Rentner, Freiberufler und andere Selbständige bekommen ihre Einkünfte brutto ausbezahlt und müssen sie, wenn sie einen bestimmten Freibetrag übersteigen, von sich aus in einer Einkommensteuererklärung angeben und versteuern. Das sind immerhin nicht ganz wenige Menschen in Deutschland (mehr als 21 Mio. Rentner und ca. 4 Mio. Selbständige). Als Kerngruppe des Klimaprotests kommen jedoch Rentner und Selbständige wahrscheinlich eher nicht infrage. Einen Versuch, sie zu aktivieren, wäre es immerhin wert.
Vorschlag 2:
Wir alle sind Konsumenten, d.h. wir können in der Marktwirtschaft nur überleben, wenn wir unsere Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände käuflich erwerben. Und dafür müssen wir immer auch Steuern zahlen, vor allem die Mehrwertsteuer. Nur, wie gesagt, wir werden gar nicht gefragt, ob wir das auch wollen. Jeder Kassenbon weist die im Kaufpreis enthaltene Mehrwertsteuer aus. Hier die Steuerzahlung zu verweigern, heißt also den Kauf selbst zu verweigern, gar nicht erst zu kaufen. Steuerstreik als Konsumstreik!
Gut, dann hätten wir auch weniger von all dem, was wir sonst vielleicht gekauft hätten, Klamotten, Elektrogeräte und Kosmetik z.B. Aber hat uns Corona nicht gelehrt, dass wir mit viel weniger von all dem gut zurechtkommen, eigentlich so gut wie nichts davon vermissen? Gehen würde das also und die Wirtschaft und der Staat würden es durchaus merken. Und dem nachhaltigen Leben und Wirtschaften würde es sogar direkt helfen, wenn der Konsum zurückgefahren würde, um dem Staat Steuern zu verweigern. Wenn wir öffentlich machen, warum wir das alles tun und was wir als Gegenleistung des Staates fordern, wäre vielleicht ein Umdenken und Umsteuern gar nicht mehr fern. Kann man drüber nachdenken, finde ich.