Dieser Tage bekam ich über den Verteiler meiner lokalen Scientists 4 Future Gruppe einen Artikel zugesandt, der mir sehr gut gefiel. Er wurde von der Münsteraner S4F Gruppe veröffentlicht und formuliert die gut begründete These, dass angesichts des planetaren Notstands im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der demgegenüber völlig unzureichenden Reaktion der Politik ziviler Ungehorsam nicht nur zulässig sondern geradezu geboten ist. Natürlich sind wir als Wissenschaftler gewohnt, unsere Einsichten in der notwendigen Nüchternheit und Neutralität vorzutragen und uns auf unser Wort zu beschränken. Jetzt allerdings ist der Klimawandel soweit fortgeschritten ist, dass verschiedene sog.Kipppunkte wahrscheinlich nicht mehr abzuwenden, sondern allensfalls noch abzumildern sind. Die Gefahr einer gravierenden Schädigung unserer Lebensgrundlagen ist also unabweisbar und daher der nüchterne Vortrag wissenschaftlicher Befunde nicht mehr ausreichend. Zum zweiten trägt der Artikel in sehr umfassender Weise noch einmal die einschlägigen Befunde vor und belegt sie mit fast schon zu vielen Quellenverweisen, von denen ich daher der Lesbarkeit wegen einige weggelassen habe. Jeder und jede Interessierte kann also die referierten Befunde noch einmal genau studieren. Das hat mich bewogen, den Artikel in meinem Blog zu veröffentlichen.Hier ist er:
Wir befinden uns im planetaren Notstand. Politische Maßnahmen, die zum Erhalt unserer Zivilisation erforderlich sind, sind nicht ersichtlich. Als Regionalgruppe der Scientists for Future halten wir daher zivilen Ungehorsam für ein legitimes Mittel.
Kipppunkte im Klimasystem machen die derzeitige Situation besonders gefährlich. Das Eis der Westantarktis wird wohl ins Meer fließen und so in den nächsten Jahrhunderten den Meeresspiegel um 3 Meter steigen lassen, ohne dass wir es noch verhindern können. Das Eis auf Grönland könnte unaufhaltsam schmelzen und so für weitere 7 Meter sorgen.
Dauerhaft gefrorene Böden (sog. Permafrostböden) können tauen und dabei große Mengen an Treibhausgasen freisetzen. So kann es wärmer werden, selbst wenn die Menschheit keine Treibhausgase mehr emittiert. Nachdem im letzten Jahr in Kanada der Boden so stark getaut ist, wie der Weltklimarat es für das Jahr 2090 vermutet hatte, bereiten jetzt außergewöhnlich hohe Temperaturen in Sibirien sorgen. Dr. Jennifer Sobiech-Wolf, die sich als Klimaforscherin an der WWU Münster mit Permafrostgebieten beschäftigt, kommentiert: "Vor kurzem hätte noch fast jede*r Permafrostforscher*in gesagt, dass die Permafrostgebiete zum großen Teil behäbig reagieren und es noch relativ lange dauern wird, bis dort nachhaltige Veränderungen eintreten. Der Klimawandel wirkt sich in den arktischen Regionen generell deutlich stärker und schneller aus als in den mittleren Breiten, aber das aktuelle Tempo überrascht auch uns Wissenschaftler*innen. Wir sind gerade ratlos, ob der Permafrost in weiten Teilen nicht schon begonnen hat zu kippen.“
Solche Prozesse können sich gegenseitig verstärken und zu einer Heißzeit führen, die unsere Zivilisation gefährdet. Eine Reihe weltweit renommierter Klimaforscher*innen argumentiert, dass wir uns schon deshalb im planetaren Notstand befinden.
Auf politischer Ebene haben fast alle Staaten der Welt 2015 in Paris vereinbart, sich um eine Begrenzung der globalen Erwärmung bei 1,5 °C zu bemühen (sie aber jedenfalls deutlich unter 2 °C zu halten), um eine gefährliche Entwicklung zu verhindern. Bundeskanzlerin Angela Merkel betont: „Wir brauchen dieses Pariser Abkommen, um unsere Schöpfung zu bewahren. Nichts kann und wird uns dabei aufhalten.“
Derzeit ist die Politik allerdings weit davon entfernt, das Pariser Übereinkommen umzusetzen. Das globale CO2-Budget für das 1,5 °C -Ziel beträgt etwa 300 Gigatonnen. Wenn wir weiter jährlich um die 40 Gigatonnen emittieren, wird es in weniger als 8 Jahren aufgebraucht sein. Darauf hat Greta Thunberg in nahezu jeder Rede hingewiesen. Viele Medien interessieren sich aber eher für andere Aspekte ihrer Auftritte.
Wissenschaftler*innen haben Vorschläge erarbeitet, welcher Anteil des verbliebenen Budgets Deutschland zustehen könnte. Reduzieren wir unsere CO2-Emissionen gleichmäßig, müssten sie danach spätestens in den 2030-Jahren auf netto-null gesenkt werden. Die dafür erforderliche Energiewende ist technisch realisierbar und wirtschaftlich sinnvoll.
Die Bundesregierung orientiert sich bei ihren Plänen aber nicht an der Frage, welche Menge an Treibhausgasen die Menschheit für die Pariser Ziele noch ausstoßen kann. Bundesumweltministerin Svenja Schulze kann sich „unter diesen ganzen Tonnen“ nichts vorstellen. Die Unionsfraktion bezeichnet es als „klimabudgetäres Klein-Klein“. Nicht besser sieht es bei den Maßnahmen aus. Mit dem Klimapaket wird es voraussichtlich noch nicht einmal gelingen, die unzureichenden bisherigen Ziele zu erreichen. Das Kohleausstiegsgesetz sieht ohne energiewirtschaftliche Notwendigkeit einen zu späten und zu teuren Ausstieg vor.
Global steuern wir selbst dann auf eine Erwärmung von mehr als 3 °C zu, wenn alle Staaten ihre Ziele einhalten. Trotzdem reichte es beim letzten Klimagipfel 2019 nicht für das Bekenntnis, sich in diesem Jahr ambitioniertere Ziele zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass Christiana Figueres, die als Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention maßgeblich am Pariser Übereinkommen beteiligt war, zu zivilem Ungehorsam aufruft.
Wir sind der Auffassung, dass in dieser Situation jede*r Einzelne in der Verantwortung steht. Insbesondere wohlhabende und einflussreiche Menschen müssen zum einen ihren Lebensstil ändern und sich zum anderen öffentlich für mehr Klimaschutz einsetzen, selbst wenn sie befürchten, damit an Ansehen zu verlieren.
Nachdem die mediale Aufmerksamkeit im Jahr 2019 noch nicht einmal dazu geführt hat, dass sich die Politik ernsthaft mit den wesentlichen Sachfragen auseinandergesetzt hat, halten wir es angesichts des planetaren Notstands für ein legitimes Mittel, mit zivilem Ungehorsam zu reagieren. In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele, in denen er zu Veränderungen führte, die vorher unmöglich schienen.
Als prägend für Methoden des zivilen Ungehorsams gilt der von Mahatma Gandhi initiierte Salzmarsch in Indien. Die britischen Kolonialherren behielten sich das Recht auf die Gewinnung und den Verkauf von Salz vor. Gandhi machte sich 1930 zu Fuß auf den hunderte Kilometer langen Weg zum Meer, wo er symbolisch einige Körner Salz aufhob und seine Landsleute aufforderte, ihr Salz selbst zu gewinnen. Ihm folgten so viele Inder*innen, dass die Behörden mit den Verhaftungen nicht nachkommen konnten. Solche Maßnahmen trugen dazu bei, dass Indien schließlich unabhängig wurde.
Ein weiteres Beispiel ist das Verhalten von Rosa Parks, die sich der Diskriminierung von Schwarzen in den US-Südstaaten entgegenstellte. Sie weigerte sich, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Ihre Festnahme führte zum Busboykott von Montgomery, der als Geburtsstunde der Bürger*innenrechtsbewegung um Martin Luther King angesehen wird.
Fridays for Future hat bereits mit Schulstreiks, Extinction Rebellion mit Straßenblockaden und Ende Gelände mit der Besetzung von Kohlekraftwerken zivilen Ungehorsam geleistet. Wir haben uns als Scientists for Future zusammengefunden, um Fridays for Future zu unterstützen. Jetzt weiten wir unsere Unterstützung aus.
„Verstöße gegen Gesetze bis hin zu Straftaten sind nichts Ungewöhnliches. Die Besonderheit des zivilen Ungehorsams besteht darin, dass Regeln demonstrativ in Frage gestellt werden. Dies erhöht das Risiko einer Geldbuße oder Strafe. Viel hängt davon ab, wer auf Behördenseite mit dem jeweiligen Fall befasst ist.“ erläutert Dr. Mathis Bönte, der am kriminalwissenschaftlichen Institut der WWU Münster geforscht hat und jetzt als Strafverteidiger tätig ist. „Aufgrund der außergewöhnlichen Umstände bin ich der Auffassung, dass Aktionen des zivilen Ungehorsams mit dem Recht in Einklang stehen. Jedenfalls kann ich von allen Motiven, die mir in meiner juristischen Laufbahn begegnet sind, keines besser nachvollziehen als die Gewissensentscheidung zum Erhalt unserer Zivilisation. Ich bin dabei.“
Kontakt: muenster@scientists4future.org