„Dein Blog heißt nachhaltig geht, aber Du schreibst fast nur, was nicht geht.“ So etwa schrieb mir kürzlich ein Kollege
als Reaktion auf meinen Artikel zu Elektroautos. Und in der Tat, die halte ich auch wirklich für keine tragfähige Option, wenngleich ein kleines Elektroauto sicher besser ist als ein großer
Verbrenner. Aber darum soll es hier nicht noch einmal gehen. Ich möchte den Ball aufnehmen und mal darüber schreiben, wie es aus meiner Sicht tatsächlich gehen könnte, und zwar am Beispiel der
Energiewende, d.h. der Umstellung des gesellschaftlichen Energiesystems von fossilen Energieträgern auf erneuerbare. Denn hierin liegt aus meiner Sicht ein Schlüssel für viele weiteren „Wenden“,
die es noch braucht, wenn wir ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften erreichen wollen. Noch eine einschränkende Vorbemerkung: Ich bin
Sozialwissenschaftler, kein Techniker. Was ich über Energietechnik schreibe, sind Worte eines interessierten Laien. Daher handelt der folgende Beitrag vor allem von der sozialen und ökonomischen
Dimension der Energiewende. Zudem danke ich meinem Bruder Wolfgang von Werder für seine kritischen Anmerkungen und Hilfe.
Das Wort Energiewende geht zurück auf das Freiburger Öko-Institut, das 1980 mit dem Buch „Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ die Möglichkeit einer vollständigen Umstellung der Energiegewinnung auf nachwachsende Rohstoffe bis zum Jahr 2050 aufgezeigt hat. Hintergrund dieser Initiative waren die Anti-Atom-Bewegung der 70er Jahre und die gesellschaftliche Debatte um die „Grenzen des Wachstums“. Hintergrund waren zudem zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema, zusammengefasst z.B. im Buch „Sanfte Energie“ von Amory Lovins.
Als erneuerbare Energieträger kommen pflanzliche Rohstoffe, Wind-, Sonnen- und Wasserkraft sowie Geothermie (vor allem zur Wärmegewinnung) infrage, die allerdings überwiegend den Nachteil haben, unregelmäßig und/oder dezentral verfügbar zu sein. Abgesehen von fossilen Kraftstoffen für Fahrzeuge und Gebäudeheizung (Öl, Gas), auf die ich in diesem Artikel nicht näher eingehen will, stellen fossile und Atom-Kraftwerke zur Stromerzeugung großtechnologische Einheiten dar, die in Deutschland überwiegend von vier großen Energiekonzernen ( E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW). betrieben werden. Die alternativen Technologien dagegen (vor allem Windräder, Solarmodule, Biogasanlagen) sind klein oder von mittlerer Größe. Sie erfordern viele kleine Produktionseinheiten, Energiespeicher und intelligente Netze, damit sie rund um die Uhr Strom liefern können und auch von Großverbrauchern nutzbar sind. Die alternativen Techniken bilden damit ein komplett anderes Energiesystem, das anstelle großer zentraler Kraftwerke und entsprechender Verteilnetze eine weitgehend lokale oder regionale Energieerzeugung und –verteilung aufbaut, in der Strom da und von denen produziert wird, wo er auch gebraucht wird. Mit diesen Techniken ist Energiewirtschaft nicht das Geschäftsmodell großer Energiekonzerne, sondern gemeinwirtschaftliche Aufgabe im Rahmen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, möglichst mit breiter Bürgerbeteiligung. Wenn das neue System das alte ablösen soll, muss der Übergang von fossilen auf erneuerbare Energien über einen längeren Zeitraum gestreckt werden, da das neu zu schaffende System nicht von heute auf morgen verfügbar ist und völlig andere Strukturen erfordert.
Spätestens seit 1998 gibt es in Deutschland dem Namen nach eine Energiewende. Aber wie ist die bisher gelaufen? Schauen wir kurz hin: Politik und Wirtschaft haben bis in die 90er Jahre trotz Tschernobyl voll auf den Ausbau der Kernenergie gesetzt, obwohl bereits 1991 ein Gesetz in Kraft gesetzt wurde, das die Energieversorger gegen ihren Willen verpflichtete, auch privaten Erzeugern von Strom aus erneuerbaren Quellen die Netzeinspeisung zu erlauben und zu vergüten, sehr zum Missfallen der damals staatlichen Energieversorger. 1996 trat dann allerdings eine EU-Richtlinie in Kraft, die 1998 in geltendes deutsches Recht umgesetzt wurde. Durch sie wurde die leitungsgebundene Energieversorgung europaweit „liberalisiert“. Die Energieerzeugung und –verteilung wurde privatwirtschaftlichen Unternehmen übertragen, vorgeblich um – ganz im Sinne der neoliberalen Wirtschaftsauffassung – mit Hilfe des Marktwettbewerbs zu Preissenkungen für die privaten Verbraucher zu kommen. Diese sind tatsächlich aber nie eingetreten. Die Schaffung eines Energiemarktes mit privatwirtschaftlichen Anbietern allerdings war und ist der Hauptgrund dafür, dass die Umstellung auf regenerative Energien trotz breiter Unterstützung durch die Zivilgesellschaft danach nur sehr mühsam vorankommt. Denn die konventionellen Energieproduzenten machen sich weiterhin sehr begrenzt Konkurrenz und haben im Gegensatz zu den Alternativen auch das Ohr der Politik, vor allem des Wirtschaftsministeriums, gleich wer da gerade Minister ist.
Zunächst nahm jedoch die rot-grüne Koalition 1998 das Stichwort Energiewende ernst und schuf mit dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) die rechtliche Grundlage für eine Wende hin zu den regenerativen Energien. Die Erzeuger alternativer Energien erhielten eine auskömmliche garantierte Einspeisevergütung, finanziert aus dem Strompreis. Kurz danach machte sie den Konzernen den Ausstieg aus der Kernenergie schmackhaft um den Preis, dass fortan die Ewigkeitskosten der Entsorgung vom Steuerzahler zu tragen sind. Der Ausstieg wurde allerdings vom schwarz-gelben Kabinett Merkel per Laufzeitverlängerung bald wieder zurückgenommen. Erst der Fukushima-GAU besiegelte den Ausstieg endgültig. 2022 soll das letzte AKW abgeschaltet werden.
Der Marktwettbewerb, der mit der Liberalisierung geschaffen wurde, ließ zwar den Markteintritt innovativer Wettbewerber zu, führte aber vor allem dazu, dass die Konzentration stark voranschritt, bis es neben regionalen und kommunalen Versorgern schlussendlich noch vier große Konzerne gab, die den Markt unter sich aufteilten und den Wettbewerb weitgehend ausschalteten. Zudem ließ der Widerstand der Energiekonzerne gegen die Förderung bürgereigener Wind- und Solaranlagen, die langfristig ihr Geschäftsmodell gefährden, nicht nach, im Gegenteil.
Sie schafften es, zunächst die ursprüngliche Förderung lokaler Produzenten soweit auszuhebeln, dass praktisch nur noch konzerngestützte „Bürgerwindparks“ Förderungszusagen bekommen, um dann oft doch nicht zu bauen. Zudem ist die im EEG vorgesehene Erneuerbare-Energien-Umlage (die allerdings nur kleine und Privatverbraucher zu zahlen haben) inzwischen so ausgestaltet, dass sie sich mit Effizienzgewinnen und damit verbundenen Marktpreissenkungen bei Wind und Solar erhöht und nicht etwa senkt, so dass vor allem Privatverbraucher stetig steigende Strompreise hinnehmen müssen. Abgesehen vom Häuslebauer mit der eigenen kleinen Solaranlage müssen Wohnungsbaugenossenschaften und Vermieter auf den in ihren Gebäuden von den Bewohnern selbstgenutzten Strom die EEG-Umlage zahlen. Das ist, als wenn vom Kleingärtnervereinen auf die von ihren Mitgliedern selbst angebauten Tomaten eine Steuer erhoben würde!
Auf der anderen Seite werden Großverbraucher - auch solche, die gar nicht im internationalen Leistungswettbewerb stehen – von der EEG-Umlage befreit. Insgesamt ist die derzeitige deutsche Energiewende im Ergebnis so etwas wie die Echternacher Springprozession: drei Schritte vorwärts, dann wieder mindestens zwei zurück.
Das ursprüngliche Konzept der „sanften Energie“ aber ist eines der weitgehenden Bändigung großer Konzerne und des allein an Gewinnerzielungszielen ausgerichteten Geschäftsmodells. Und das ist nach wie vor umsetzbar. Fairer Wettbewerb der Vielen um die besten Lösungen des Problems der nachhaltigen Energieversorgung, statt Absprachen der früheren Wettbewerber und Absicherung durch die Politik.
Energieeinsparung hat erste Priorität, denn was nicht benötigt wird, braucht auch nicht erzeugt zu werden. Wie kann jemand, der vor allem Strom verkaufen will, daran interessiert sein, dass seine Kunden Strom sparen? Energieerzeugung dort, wo und von denen, die die Energie nutzen wollen. Das geht nur gegen den Widerstand der Großen. Und durch lokale Energiegewinnung an Ort und Stelle werden riesige Stromtrassen überflüssig und die erheblichen Stromtransportverluste in den großen Netzen fallen weg.
Der Energiemarkt muss nach dem Modell der sozialen Marktwirtschaft gestaltet werden, das staatliche Regulierung für den Fall vorsieht, dass die Sozialbindung des Eigentums nicht hinreichend beachtet wird. Echte Bürgerbeteiligung vermeidet zudem den heute vielfach beklagten Widerstand lokaler Bürgerinitiativen z.B. gegen Windräder in ihrer Umgebung.
Nicht immer größer und immer mehr, sondern angepasst an die jeweils lokalen bzw. regionalen Bedürfnisse und Möglichkeiten, das muss die Devise sein. Lokale Initiativen haben vorgemacht, dass das geht: So haben z.B. die heutigen Energiewerke Schönau bereits 1986 als Bürgerinitiative begonnen, eine regionale regenerative Energieversorgung aufzubauen und erfolgreich zu betreiben. Sie haben das regionale Stromnetz übernommen und damit den Widerstand des Netzbetreibers gegen die Einspeisung ihres Stroms überwunden. Die Genossenschaft ist heute ein führender Versorger mit regenerativen Energien. Auch die Mitglieder des Bündnis Bürgerenergie (BBEn e.V.) treten für eine dezentrale Energiewende ein und betreiben deren Umsetzung. „Bürgerenergie steht für eine regenerative und auf dezentrale Strukturen ausgerichtete Energiewende, die demokratischen, sozialen und ökologischen Werten entspricht“ heißt es auf der Seite der Organisation.
Was gestützt auf die neoliberalen Vorstellungen von der Innovationskraft des Marktes auch bei der Energieversorgung von der EU 1996 als sog. Liberalisierung des (leitungsgebundenen) Energiesektors eingeführt wurde, muss komplett vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Denn bisher hat das danach novellierte EEG zwar anfangs einen Innovationsschub gebracht, durch die dann aber umgestaltete EEG-Umlage (siehe oben) den weiteren Ausbau fast völlig zum Stillstand gebracht.
Energieversorgung muss von den Bürgern selbst in die Hand genommen werden. Sie muss Energieeinsparung favorisieren und den nicht vermeidbaren Rest regenerativ und nutzungsortnah in kleinen dezentralen Einheiten produzieren, vorrangig von denjenigen, die die Energie selbst nutzen wollen. Dazu kann z.B. das Konzept des Energy Sharing beitragen, das auch von der EU gefordert, von Deutschland aber bisher nicht umgesetzt worden ist. Als zentrale Funktion verbleibt im Wesentlichen der Betrieb des allerdings wesentlich kleineren Netzes. Der Betrieb von wenigen Großanlagen (Wasserkraftwerke und Stromspeicher) kann weiterhin von privatwirtschaftlichen Unternehmen betrieben werden, bedarf aber der funktionierenden Regulierung. Technisch ist es aber heute durchaus möglich, die Speicherung mit sog. virtuellen Kraftwerken zu realisieren, so dass Großtechnologie auch dort weitgehend vermieden werden kann.
Wer jetzt noch das Argument mit dem Wegfallen der Arbeitsplätze bei den großen Energiekonzernen vorbringen möchte, dem sei versichert, dass mindestens ebenso viele neue Arbeitsplätze bei der Produktion der für eine Bürgerenergiewirtschaft erforderlichen Anlagen und deren Pflege und Wartung entstehen. Das räumen sogar die Gegner des im Rahmen der aktuell praktizierten „Energiewende“ vorgesehenen Ausstiegs aus der Kohleverstromung inzwischen ein. Ja, nachhaltig geht, auch und gerade in der Energieversorgung.