Von Wegen und Wegweisern – müssen Nachhaltigkeits-Experten „Heilige“ sein?

Kürzlich las ich einen Zeitungsartikel, der von einer Studie über Moralphilosophen berichtete. Bekanntlich sind das Menschen, die viel über Moral und die dieser Moral zugrundeliegenden philosophischen Konzepte lesen, schreiben und lehren. Die Studie wollte in Erfahrung bringen, ob diese Professoren sich auch selbst an das halten, worüber sie forschen und schreiben. Der Befund kurz gefasst: Sie tun es nicht mehr als ihre Kollegen, die über Physik, Mathematik oder Ökonomie forschen. Sie wissen viel über Ethik und Moral, aber ihr Handeln ist das von „normalen“ Menschen, nicht moralischer und auch nicht unmoralischer als das Handeln von Dir und mir.

 

Die übliche Rechtfertigung für diese Tatsache lautet: Forschung darf sich nicht mit ihrem Gegenstand identifizieren, sie muss Neutralität und Distanz wahren. Sätze wie „die 10 Gebote sind es wert, befolgt zu werden“ oder „wir müssen alles tun, um den Klimawandel zu bremsen“ sollten von Wissenschaftlern nicht ausgesprochen werden, heißt es. Aber natürlich sind Wissenschaftler Menschen. Sie können daher gar nicht ohne Wertungen auskommen. Moralphilosophen auch nicht. Wie weit sie ihre persönlichen Werte in ihre Forschung einbringen sollten, ist daher eine Frage, die wissenschaftlich umstritten ist.

 Aber: Wie ist das mit den Klimaforschern, die so nachdrücklich vor den Folgen des Klimawandels warnen? Wie ernst muss man z.B. den Autor dieses Blogs über Nachhaltigkeit nehmen? Was ist mit mir bzw. mit meinem praktischen Handeln? Sind die Ergebnisse der zitierten Studie auf die „Ökoapostel“ übertragbar? Und was bedeutet das für ihre Schriften? Sind die dann das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen, wenn auf sie zutrifft, dass sie persönlich genauso leben wie wir alle?

 Man könnte es sich einfach machen. Dann hieße das entweder, lass die doch schreiben, was sie wollen, sie meinen es nicht ernst, weil sie sich selbst nicht dran halten. Oder das Gegenteil, wer den Weg weist, muss ihn nicht zwingend auch selbst gehen. Dadurch wird doch der Weg nicht falsch.

 Ich meine, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Wer vor dem menschengemachten Klimawandel warnt und wer nicht-nachhaltiges Handeln kritisiert, der sollte auch sich selbst fragen, wie viele Flugreisen er unternimmt, um seine Botschaft unter die Leute zu bringen oder einfach nur Urlaub zu machen. Und ob nicht – mit oder ohne die Hilfe von Corona - oft auch Videokonferenzen ausreichen, um sich mit seinen Kollegen auszutauschen. Oder eben Urlaub an der Nordsee.

 Wer in Sachen Nachhaltigkeit forscht, der weiß auch, dass vor allem die Menschen sich leidlich nachhaltig verhalten, die nur wenig Geld zur Verfügung haben, die also schon aus diesem Grunde nicht dauernd verreisen und Steaks essen können. Oder die in armen Ländern mit bescheidener Infrastruktur leben. Menschen dagegen, die genau wissen, dass alle zwei Jahre ein neuer SUV mit immer noch mehr Gewicht und PS ökologisch nicht vertretbar ist, kaufen sich oft trotzdem solche Fahrzeuge, einfach weil sie es geil finden und sich leisten können. Manchmal haben sie dann zwar vielleicht ein schlechtes Gewissen oder „Flugscham“, mehr nicht. Wenn sie dann jedoch auch noch anfangen, den Klimawandel zu leugnen, um ihr Verhalten zu rechtfertigen, dann allerdings reicht‘s.

 Ich denke also, dass wir, die wir über Nachhaltigkeit forschen und schreiben, unsere Glaubwürdigkeit wahren müssen, indem wir uns nach Kräften bemühen, auch im Alltag unseren ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Wir sollten vor allem in den kritischen Bereichen Wohnen, Mobilität, Essen darauf achten, nach Möglichkeit sparsam und ressourcenschonend zu handeln. Wenn wir dann mit der Familie mal einen Sonntagsausflug mit dem Auto machen, nachdem wir zu Mittag Fleisch gegessen haben, dann sind wir eben auch nur Menschen, die im Wohlstand leben.

Mein persönlicher ökologischer Fußabdruck ist nicht wesentlich kleiner als der des durchschnittlichen Bürgers in Deutschland, obwohl ich wenig Fleisch esse, keine Flugreisen mache und in einem Mehrfamilienhaus wohne. Mehr als die Hälfte jedes Öko-Fußabdrucks fällt einfach dadurch an, dass man da lebt, wo man eben lebt und die gesellschaftlichen Gegebenheiten nutzt. Das heißt aber: Die Handlungsmöglichkeiten jedes Einzelnen sind bei allem subjektiven Bemühen begrenzt. Auf dem Weg in Richtung Nachhaltigkeit müssen vor allem die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse verändert werden. Und das ist keine Frage der Moral, sondern eine Frage des Überlebens der Menschheit. Es fordert von uns allen die Bereitschaft, persönlich so bewusst wie möglich zu handeln, und die Bereitschaft zu politischem Engagement, nicht nur alle vier Jahre bei den Wahlen. Und von uns Wissenschaftlern fordert es, uns selbst, unsere Mitmenschen und die Politik nachdrücklich zum Handeln aufzufordern, es aber dabei nicht bewenden zu lassen, sondern auch selbst Beiträge dazu zu leisten.